Die im Altertum von Griechen und Römern geplanten Städte
mit ihren geradlinig verlaufenden und meist rechtwinklig sich schneidenden
Strassen, mit ihren rechteckigen Baublöcken und ihren hochentwickelten
Kanalisations- und Wasserleitungssystemen, haben seit langem das Interesse von
Architekten, Städtebauern und städtebaulich interessierten Geschichtsforschern erregt.
Von den Forschern, die grundsätzliche Untersuchungen zu diesem Thema angestellt
haben, sollen hier nur zwei Namen genannt sein: Ferdinando Castagnoli und J.B.
Ward Perkins.
Orthogonal angelegte Städte finden sich in der ganzen
Welt. Orthogonalitàt ist kein spezifisches Merkmal antiker römischer oder
griechischer Städte, rechtwinklig angelegte Siedlungen und Städte gab es schon
lange vor den Römern und Griechen, wie denn die orthogonale Stadtplanung an
keine besondere Zeit und keine besondere Kultur gebunden ist.
Ausser bei den Römern und Griechen finden wir orthogonal
anlegte Städte im alten Mesopotamien, in Agypten, bei den Phöniziern und
Etruskern, im mittelalterlichen Südfrankreich (Bastides) und auch das von den
Incas angelegte Cuzco war orthogonal angelegt. Auch die alten chinesischen und
japanischen Städte besassen orthogonal angelegte Strassennetze und die von
Europäern in Amerika gegründeten Städte haben solche. Man denke an das
kaiserliche Peking und an die japanischen Hauptstädte Fujiwara-Kyo, Heijo-Kyo
(Nara), Heian-Kyo (Kyoto).
Schliesslich schufen die Spanier in der Neuen Welt Kolonialstädte
mit orthogonalem Grundriss wie Havana, Lima und Buenos Aires. In Nordamerika
sind Städte wie Philadephia, New York, Savannah, New Haven und Boston streng
nach orthogonalem Schema angelegt worden. Schliesslich gehört auch Le
Corbusiers Plan für Chandigar zum orthogonalen Städtebau.
Alle diese Städte haben eines gemeinsam: wie die antiken
Griechen- und Römerstädte sind sie geplante Neuanlagen.
Man kann sich deshalb fragen, warum dieses besondere
Interesse gerade für die von Griechen und Römern orthogonal angelegten Städte?
Ich glaube, dass das Interesse für die orthogonal
angelegten Griechen- und Römerstädte mit der Situation zum Zeitpunkt ihres
Bekanntwerdens im 19. Jahrhundert zusammenhängt. Wir befinden uns in der
Gründerzeit. In Amerika wachsen auf den noch aus dem 18. Jahrhunderts
stammenden Stadtplanungen neue Grossstädte wie New York und Philadelphia
(Stadtplan von William Penn 1682) heran, und in Europa, entstehen nachdem dem
Abbruch der alten mittelalterlichen Stadtmauern allerorts neue Vorstadte die
ebenfalls gerade und rechtwinklig sich kreuzende Strassennetze besitzen. Gepflasterte
Strassen und städtische Kanalisationen, welche die Städte meistens erst in der
zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts erhielten, galten als eine der grossen
Errungenschaften der Neuzeit. Die Entdeckung, dass es schon mehrere
Jahrtausende zuvor Städte mit gepflasterten Strassen, Wasserleitungen und
Kanalisationen gegeben hatte, muss das Selbstgefühl der Menschen, insbesondere
das Selbstgefühl der Stadtplaner, stark getroffen haben. Es muss sich praktisch
um einen moralischer Tiefschlag gehandelt haben.
Warum
orthogonaler Stadtebau?
Was steckt nun hinter dahinter? Der allgemein menschliche Sinn für Ordnung
oder praktische Überlegungen? Sicher beides. Sicher war die Entdeckung
geometrischer Ordnungen eine der ersten abstakten Erkenntnisse des Menschen und
seitdem war es sein Streben, das ganze Universum als geometrische Ordnung zu
interpretieren. Kreis, Rechteck und Dreieck sind Grundelemente der Geometrie. Noch
Kopernikus ging noch davon aus, dass die Bahnen, welche die Planeten um die
Sonne beschreiben, Kreise sein müssten, weil der Kreis eine perfekte
geometrische Figur ist, und es war für ihn undenkbar, dass der Schöpfer des
Universums sich etwas anderes, als einer perfekten Figur bedient hätte. Sich
die Welt als Kugel vorzustellen und sie in Kreise und Rechtecke zu teilen, ist
eine alte Gewohnheit. Die Krümmung der Erdoberfläche ist so gering, dass man
auf ihr ebene Geometrie betreiben kann, d.h. man kann auf ihr rechteckige
Felder anlegen und rechteckige Häuser bauen, ohne dass man dabei die
Erdkrümmung berücksichtigen muss.
Die
moderne Erforschung des antiken Städtebaus
Während bei den meisten Altertumsforschern die Frage nach
dem geschichtlichen Ursprung des orthogonalen Städtebaus, seiner Entwicklung
und den Gründen für seine regional verschiedenen Ausprägungen im Vordergrund
steht, interessiert sich der Architekt und der Ingenieur mehr für praktische
Fragen. Zum Beispiel fragt er nach den Kriterien, nach denen die Strassennetze
der Städte festgelegt und ausgerichtet wurden, nach denen die bebaubaren
Flächen parzelliert worden sind, er fragt, welche Rolle dabei die Besonnung und
die lokalen klimatischen Verhältnisse gespielt haben und so weiter. Die
Antworten, die sich auf diese Fragen in der Literatur finden lassen, sind
vielfältig und nicht frei von Spekulationen, nicht zuletzt deshalb, weil viele
der römische Stadtgrundrisse erst bruchstückweise bekannt sind und noch Vieles
auf hypothetischen Annahmen beruht.
Die Untersuchungen zum römischen Städtebau basieren
hauptsächlich auf zwei Arten von Quellen, einerseits auf den Aussagen antiker
Autoren und zweitens auf den Ergebnissen der archäologischen Forschung. Beide
Quellen lassen sich häufig nicht oder nur schlecht miteinander verbinden. Von
den Schriften antiken Autoren, die in irgend einer Weise das Thema “Stadt”
behandeln, nehmen die wenigsten direkt Bezug auf die Planung von Städten.
Philosophen wie Platon und Aristoteles haben sich wenig für die technischen
Probleme der Stadtplanung interessiert. Bei ihnen geht es vor allem um die
Stadt als ein zu organisierendes, politisches Gemeinwesen (polis, civitas), um
den idealen Stadtstaat. Dass dieser Stadtstaat über wirtschaftliche Resourcen
verfügen muss, um autark zu sein, dass die städtische Siedlung auf einen
klimatisch günstigen und gut zu verteidigenden Ort errichtet werden solle, sind
allgemeingültige Aussagen, die nicht das eigentliche Problem dieser Autoren
betreffen.
Andere antike Schriftsteller berichten vom etruskischen
Ritual der Stadtgründung. Die Etrusker galten als Spezialisten auf diesem
Gebiet. Das Ritual bestand nebst religiösen Zeremonien darin, an einem durch
Auspizien festgelegten Tag, das Areal einer neu anzulegenden Stadt durch eine
mit dem Pflug gezogenen Furche zu begrenzen, und zwar in der Weise, dass die
Schollen nach innen fielen und somit die Furche symbolisch die Mauern und den
Graben bezeichnete. An der Stelle, wo die Tore stehen sollten, wurde der Pflug
angehoben und damit die Furche unterbrochen. Dieser primigenius sulcus war heilig, wie überhaupt bei den Etruskern alle
Grenzen, und bis zu ihm erstreckten sich städtischen Auspizien.
Offensichtlich war schon zur Zeit Plutarchs (46-120 n.
Chr.) der Sinn vieler etruskischer Zeremonien und Gebräuche nicht mehr ganz
klar und Vieles, was der etruskischen Überlieferung entstammte, wurde
miteinander vermengt, aber auch wegen seines ehrwürdigen Alters hoch geachtet.
Aufgefundene etruskische Grenzsteine zeigen, dass Grenzen ganz allgemein als
heilig galten, und dass derjenige, der sie verletzte, den Zorn der Götter
fürchten musste. Wenn man bedenkt, dass die antiken Gesellschaften keine
genauen Katasterkarten kannten, aber sehr abergläubischen waren, ist dies eine ziemlich
effiziente Art der Grenzsicherung.
Viel Verwirrung haben auch die Schriften der römischen
Feldmesser gestiftet. Die frühesten dieser Schriften, die das Gebiet der
Flurvermessung behandeln, stammen vom Ende des 1. Jahrhunderts u. Z. Sie
enthalten sowohl technische Regeln als auch Grundsätze des Bodenrechts. Als
Erfinder der Vermessungslehre werden in ihnen die Etrusker, aber auch die
Ägypter genannt, hauptsächlich wohl deshalb, um das ehrwürdige Alter dieser
Kunst zu betonen. Dies dürfte auch die Absicht Frontin’s sein, wenn er Varro
zitiert, der als Urspung der Vermessungslehre die etruskischen Disziplin nennt,
weil zur Beobachtung des Vogelflugs ein fester Bezirk abgesteckt und die Haupthimmelsrichtungen
bestimmte werden mussten.
Eines ist sicher, keiner der römischen Feldmesser
behandelt die Anlage von Stadtgrundrissen, ihre Schriften beziehen sich auf die
Vermessung und Aufteilung des Landes zu landwirtschaftlichen Zwecken. Verbindungen
zur Stadtanlage ergeben sich nur aus dem praktischen Grundsatz, den
Ausgangspunkt, den Ursprung der Landvermessung im Stadtraum zu versiegeln und,
wenn möglich, mit dem Raster des Stadtgrundrisses zu verbinden, weil er dort
leichter auffindbar ist und weniger verloren geht.
Eine weitere Quelle zur römischen Stadtplanung sehen
viele Forscher in Polybios’ Beschreibung des römischen Militärlagers. Polybios
gibt eine detaillierte Beschreibung vom Musterplan des römischen Legionslagers.
Das ganze Lager hat die Form eines Rechtecks, die Lagerstrassen kreuzen sicht
rechtwinklig und verbinden die Tore, alle Lagerplätze sind rechtwinklig
zueinander angeordnet und funktionell optimal in Beziehung zueinander gesetzt. Der
Vorteil: Jede Abteilung weiss sofort wo ihr Platz ist.
Wichtig ist, dass man erkennt, dass die Tradition
orthogonaler Stadtplanung nicht aus der einen oder der der anderen Quelle
hervorgegangen ist, sondern aus einem allgemeinen, praktischen
Nützlichkeitsdenken. Es ging darum
Funktionen Plätze zuzuteilen: Plätze für
Mannschaftszelte und die Kommandatur im Militärlager, Plätze für Häuser und
öffentliche Gebäude in der Stadt.
Die Völker des Mittelmeerraumes, die Griechen, die
Etrusker und die Römer, vermutlich auch die Phönizier und Karthager (2) haben
bestimmte Muster hervorgebracht und bevorzugt nach dem sie die Stadtfläche
aufteilten. Sowie heute Stadtplanung ein internationales Gesicht hat, so waren
auch die Prinzipien orthogonalen Städtebaus in der ganzen Alten Welt verbreitet
und anerkannt.
Was haben nun Stadtgrundriss, Landvermessung und
Militärlager gemeinsam? Ganz sicher, dass sie rechtwinklich angelegt sind und
dass in allen drei Fällen die Vermesser sich der gleichen Technik bedienten.
Übliche Vermessungsinstrumente waren groma,
Messlatte und Messband. Die groma war
ein Instrument, das die gleiche Funktion hatte, wie die Kreuzscheibe, die noch
vor wenigen Jahrzehnten bei Vermessungsarbeiten benutzt wurde. Mit ihr konnte
man rechtwinklig sich schneidende Linien im Gelände ausfluchten. Der Name groma ist etruskisch und aus dem
griechischen gnomon abgeleitet, dem
Schattenstab, mit dem man den Sonnenstand und vor allem die Mittagslinie
(Meridian) bestimmte. Wahrscheinlich gelangte der Name in die etruskische Sprache
als die Etrusker im 6. Jahrhundert v. Chr. Kampanien kolonisierten und dabei
mit den griechischen Kolonisatoren in Berührung gerieten.
Die römischen orthogonalen Stadtgrundrisse variieren
stark, was zeigt, dass es keinen vorgeschriebenen Schemaplan gab, wie den, den
Polibios für die Anlage von Militärlagern beschreibt. Die Vielfältigkeit der
Stadtgrundrisse zeigt, dass sie das Ergebnis verschiedener Umstände sind, wenn
auch im Hintergrund immer die Vorstellung einer Idealstadt präsent ist.
Grundelemente einer solchen idealen Stadtvorstellung
können zum Beispiel sein: rechteckiger Umriss, ein Tor an jeder Seite, zwei
sich in der Stadtmitte kreuzende Hauptstrassen, Markt und Haupttempel ebenfalls
in der Stadtmitte.
Im konkreten Fall entsteht ein Stadtgrundriss jedoch
nicht nur aus einer allgemeinen Idealvorstellung heraus, sondern auch aus der
Berücksichtigung verschiedenster Faktoren wie, geplante Bevölkerungzahl,
Geländebeschaffenheit, vorhandenes Strassennetz, übliche Grösse von
Baugrundstücken und nicht zuletzt vom persönlichen, theoretischem Gepäck der
planenden Personen und deren praktischen Erfahrung. Eine Stadt erhält sicher
ein anderes Gesicht, wenn sie von einem engagierten Architekten und Städtebauer
geplant wird, als wenn einfache Militärtechniker oder Vermesser am Werk sind,
denen es genügt, die verlangte Anzahl Bauparzellen bestimmter Grösse auszuweisen.
Besonders neue Kolonialstädte werden oft nach sehr einfachen Mustern angelegt,
allein aus dem Grund, weil beim Einsetzen der Kolonisationstätigkeit selten
hochqualifizierte Architekten und Städtebauer zur Verfügung stehen.
Einige grundsätzliche Bemerkungen zur Planung von Städten
Die meisten Städte, denen wir in Europa begegnen sind alt. Ihre Struktur wird oft als gewachsen bezeichnet, weil sich die ursprünglichen Ideen und Pläne, nach denen sie angelegt wurden, nicht mehr oder nur schwer im heutigen Stadtbild erkennen lassen. Jahrhundertelang waren sie Gegenstand von Umbau und Erneuerung, Zerstörung und Wiederaufbau. Die Anpassung an die wechselnden Bedürfnisse ihrer Bewohner hat die Spuren ihrer ursprünglichen baulichen Stuktur verwischt und nicht selten sogar vollkommen beseitigt.
Einige grundsätzliche Bemerkungen zur Planung von Städten
Die meisten Städte, denen wir in Europa begegnen sind alt. Ihre Struktur wird oft als gewachsen bezeichnet, weil sich die ursprünglichen Ideen und Pläne, nach denen sie angelegt wurden, nicht mehr oder nur schwer im heutigen Stadtbild erkennen lassen. Jahrhundertelang waren sie Gegenstand von Umbau und Erneuerung, Zerstörung und Wiederaufbau. Die Anpassung an die wechselnden Bedürfnisse ihrer Bewohner hat die Spuren ihrer ursprünglichen baulichen Stuktur verwischt und nicht selten sogar vollkommen beseitigt.
Eine Notwendigkeit neue Städte zu bauen oder die
bestehenden planmässig zu erweitern hat schon immer bestanden. Sie ist die
Folge von Bevölkerungswachstum und Bevölkerungswanderung. Im antiken
Griechenland hatte man bestimmte Vorstellungen von der optimalen Größe eines
Gemeinwesens. War diese erreicht, dann gründete man an einem anderen Ort eine
Kolonie. Im Römischen Reich gründete man neue Städte weniger, weil die alten
Städte übervölkert waren, sondern hauptsächlich um in den eroberten Gebieten feste
Orte zu schaffen, von denen aus man das Land kontrollieren konnte. Die in den
römischen Provinzen errichteten neuen Städte sind in erster Linie Verwaltungs-
und Militärstützpunkte. Weil diese wirtschaftlich autark sein mussten, teilte
man ihnen große Territorien zu und siedelte Menschen an, die das Land
bestellten.
Seit der Entdeckung Amerikas im Jahre 1492 wurde dieser
Kontinent von den europäischen Staaten kolonisiert. Dabei ging es anfänglich
weniger um das Land selbst, als um seine Bodenschätze. Erst im 19. Jahrhundert
wurde der Bevölkerungsdruck in Europa so stark, dass aus den wirtschaftlich
schwächsten Regionen viele Menschen nach Amerika auswanderten. Die Folge war
ein immenser Bedarf an neuen Städten und Siedlungen die geplant werden mussten.
Heute ist es die Bevölkerungsexplosion
in den Ländern der Dritten Welt, welche die Urbanisationstätigkeit antreibt,
sowie die „Landflucht“, womit die Wanderung von Landbewohnern in die Städte und
in Grossstädte gemeint ist.
Bei der Anlage neuer Städte hat sich das orthogonale
Rastersystem jahrtausendelang bewährt, nicht nur im Altertum bei der
Koloniegründungen der Griechen und Römer, sondern auch in der traditionellen
chinesischen und japanischen Stadtplanung und nicht zuletzt bei den
Stadtgründungen in der Neuen Welt. Erst mit dem Aufkommen und der Zunahme des
Autoverkehrs kam man vom System rechtwinklig sich schneidender Strassen ab. Ein
orthogonales Strassensystem ist leicht zur vermessen und rechteckige
Strassenblöcke lassen sich wieder sehr einfach in rechteckige Baugrundstücke
aufteilen.
Zu den ältesten uns bekannten orthogonalen Stadtanlagen
gehören zwei Arbeitersiedlungen in Ägypten. Die eine, el-Kahun, stammt aus der
Zeit um 1890 v.u.Z. und wurde für die Arbeiter errichtet, die an der Pyramide
des Sesostris II bauten; die andere ist
ein Arbeiterquartier von Aketaton (Tell el-Amarna), der neu, etwa um 1360 v.u.Z.,
errichteten Residenzstadt von Amenophis IV (Akenaton). Beide Anlagen sind
grosse ummauerte Rechtecke, deren Fläche von parallelen Strassenzügen durchzogen
und in viereckige Baugrundstücke geteilt ist, auf denen eine Art Reihenhäuser
standen.
Auch das Babylon Hammurabis war nach orthogonalem Plan
angelegt. Herodot (5) berichtet von geradliniegen Strassen, die teils parallel,
teils rechtwinklig zum Euphrat verliefen. Die Ausgrabungen haben dies
bestätigt. Die etwa um 2000 v.Chr. geplante Anlage bildete ein Rechteck von
rund 1.500 x 2.000 Meter, das vom Euphrat in zwei ungleiche Teile geteilt war.
Auf dem Ostufer stand die Altstadt, auf dem Westufer die Neustadt. Die
Längsmauern waren durch jeweils drei Tore in vier Abschnitte geteilt, in der
Mitte der Quermauern lag jeweils ein Tor. Die Tore waren durch gerade
Strassenzüge miteinander verbunden.
Eine ähnliche Anlage haben wir im assyrischen Khorsabad,
der Hauptstadt Sargons II. Die Stadt hat
einen nahezu quadratischen Umriss und bedeckt eine Fläche von 300 Hektar. Die
Seitenlänge der Stadtmauern beträgt ungefahr 1700 Meter. Aus der Lage der
sieben bekannten Tore lässt sich auf eine orthogonales Strassennetz schliessen.
Der Ursprung des orthogonalen Städtebaus liegt im
Dunkeln. Es wird vermutet, dass schon die Stadt Mohenjo-Daro im Industal
(2700-2500 v.Chr.) ursprünglich nach orthogonalem Muster angelegt war.
Grundsätzlich kann man sagen, dass orthogonale Bebauungspläne überall dort Anmwendung
fanden, wo es sich um Neugründungen, Wiederaufbau, geplante Erweiterung und
Modernisierung von Städten gehandelt hat. Für die Verwendung orthogonaler
Bebauungspläne sprechen vor allem praktische Vorteile:
- die Vermessung ist mit einfachen Instrumenten zu bewerkstelligen
- die Stadtfläche lässt sich mühelos parzellieren
- die Grösse der einzelnen rechteckigen Flächen lässt sich unschwer
berechnen
- der Stadtboden lässt sich gerecht an die Bürger verteilen
(Parzellengrösse)
- die Einhaltung der Grundstückgrenzen lässt sich leicht kontrollieren
- die Grundstückgrenzen sind leicht rekonstruierbar
- Kanalisationen und Wasserleitungen werden planbar
- rechteckige Hausgrundrisse lassen sich gut einfügen
- die Stadtfläche wird restlos gut genutzt
- es entsteht Übersichtlichkeit (Ordnung)
Angesichts dieser vielen Vorteile ist es ziemlich überflüssig zu fragen,
warum man orthogonale Bebauungspläne benutzt hat.
Wenn manche Autoren (6) behaupten, das Formprinzip des antiken Städtebaus
sei aus der Religion hervorgegangen, dann ist das nur zur Hälfte richtig.
Natürlich hat auch diese eine Rolle gespielt, denn auch in der Religion geht es
um Ordnung, häufig um eine kosmische Ordnung, in der sich der Mensch und seine
Werke einzufügen haben. Diese Ordnung ist meist eine geometrische Ordnung, und
mache griechische Denker haben in der Geometrie eine göttliche Ordnung erkennen
wollen. Diesen Gedanken finden wir nicht nur bei den Griechen, sondern kehrt
auch im altchinesischen Städtebau wieder.
Religion war im Altertum nicht ein Teil des Lebens wie heute, sondern das
Leben schlechthin. In allem waren höhere Mächte gegenwärtig, und diese
Anwesenheit wurde von den Menschen real verspürt. Als man im kleinasiatischen
Ionien die Zusammenhänge geometrischer Ordnungen philosophisch zu durchleuchten
begann, lag nichts näher, als in ihnen den Ausdruck göttlicher Ordnung zu
sehen. Durch die philosophische Beschäftigung mit Ordnungen wurden der
Entwicklung von Geometrie und Arithmetik zwei Wege geöffnet, der eine,
rationale, führte zur Vervollkommnung von Rechenkunst, Physik und Astronomie
(Eukleides, Archimedes, usw.), der andere, irrationale, zu oft eigenartigen
mystischen Spekulationen (Pythagoräer, Neupythagoräer).
Auch der orthogonale Städtebau, der auf geometrisch-arithmetischen
Prinzipien aufbaut, erhielt in manchen Kreisen eine religiös-mystische Deutung
und wurde mit mancherlei Ritualen verbunden. Diese hatten aber auf die
Stadtplanung kaum grossen Einfluss. Stadtgründungsriten hatten und haben genau
so grosse Auswirkungen auf das Aussehen der Städte, wie unsere heutigen
Grundsteinlegungen auf die Architektur der Gebäude. Alle Städte werden häuptsächlich
nach rationalen Kriterien geplant, aber die Gründung einer neuen Stadt hat auch
rechtlichen und sozialen Charakter und unterliegt somit auch “höheren Werten”.
Wenn Bürgermeister und Pfarrer gemeinsam einen neuen Kindergarten oder ein
neues Altersheim einweihen, so spiegelt sich darin der uralte Grundgedanke,
dass menschliche Werke ohne den Schutz der Götter unvollkommen bleiben.
“Nahezu jede Politik, sei es die des Staates, der Regionen oder der
Gemeinden, hat irgendwelche räumlichen Auswirkungen. Das heisst jedoch nicht,
dass wir es dabei mit einer Raumordnungspolitik oder mit Raumplanung zu tun
haben. Erst wenn der Staat, in Erkenntnis der Zusammenhänge zwischen räumlicher
Ordnung und Politik, gezielt in die räumliche Ordnung eingreift, um
nichträumliche Effekte zu provozieren (z.B. Sicherheit, Wohlstand, usw. für
seine Bewohner), lässt sich von Raumordnungspolitik und von Raumplanung
sprechen” .
In der Antike war es bei Neugründungen üblich, die Fläche innerhalb der
Mauern neuer Städte rechtwinklig zu unterteilen. Diese orthogonal geteilten
Grundrisse antiker Städte haben die Stadtforschung schon immer sehr angezogen.
Die Forschung hat sich jedoch vorwiegend mit dem Problem deren Ursprungs
beschäftigt und Vorbilder dafür gesucht. Wenig hat sie dabei nach der
Funktionalität gefragt. Dabei liegt es auf der Hand, dass rechtwinklig geteilte
Grundrisse bei der geplanten Neuanlage von Städten einfacher zu realisieren
sind, als unregelmässige. Schon mit wenigen geometrischen Kenntnissen und
einfachen geodätischen Hilfsmitten lassen sich rechte Winkel im Gelände
konstruieren sowie Grenzen und Parzellen abstecken. Die Genialitat der
römischen Katasters besteht gerade eben darin, das Territorium in genormte,
weiter unterteilbare grosse Rechtecke zu unterteilen, diese zu Numerieren und
in Listen diejenigen Personen oder Familien zu erfassen, die in einem Rechteck
ein Grundstück besitzen oder gepachtet haben. Diese Einteilung erlaubt eine
einfach Kontrolle: da die Fläche der grossen Rechtecke bekannt ist, kann die
Summe der Einzelflächen niemals grösser sein als die Fläche eines grossen
Rechtecks.
In der Stadtplanung hat man nach derselben Methode und mit den gleichen
Hilfsmittel gearbeitet wie bei der Flurteilung, nur ist zu bedenken, dass in
der Stadt Baugrundstücke und Strassen zu parzellieren sind und keine Äcker. Für
die Breite der Haupt- und Nebenstrassen gab es Normmasse und die rechteckigen,
von Strassen umsäumten Flächen wurden so dimensioniert, dass sie ohne
Schwierigkeiten in kleinere Bauparzellen unterteilt werden konnten. Die von den
Strassen umgrenzten Flächen dienen dem Bau öffentlicher und privater Gebäude
und werden zu diesem Zwecke meist noch in kleinere Grundstücke parzelliert.
Literaturhinweise
(1) Castagnoli,
F.: Orthogonal Town Planning in Antiquity, MIT Press, Cambridge (Mass.) (1971)
(2)
Ward Perkins, J.B.: Cities of Ancient Greece and
Italy. Town Planning in Classical Antiquity, New York (1974), 128 pp., ill.,
plans
(3)
Herodot I, 180
(4) Coppa, M.: Storia dell’Urbanistica I
& II, Torino 1968
(5) Herodot
I, 180
(6) Litz,
K.: Städtebau in kulturmorphologischer Sicht; in: Werk 7 (1959), S. 224-228)
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