domenica 30 agosto 2015

Entwicklung der römischen Stadtplanung (2)

Die Etruskischen Kolonialstädte

Wohl dank der Schriften griechischer Stadtbautheoretiker, des zunehmenden Wohlstandes und der vermehrten Kolonisationstätigkeit, verbreitete sich das orthogonale Bebauungsmuster überall im Mittelmeerraum. Wir finden es in Karthago genausogut wie in Etrurien (Marzabotto). Mit seiner Verbreitung entstehen zugleich verschiedene Spielarten. Dort, wo der griechische Einfluss direkter ist, wie in Kleinasien, Syrien, Ägypten und in der punischen Welt, bevorzugt man Grundrisse mit schmalen, langgestreckten Häuserreihen. In den Randgebieten griechischen Kultureinflusses, wie in Italien, entwickeln sich andere, vom “hippodamischen” Muster abweichende Formen des orthogonalen Schemas, wenn auch vielleicht in Anlehnung an griechische Vorbilder (10). Dieser frühe orthogonale Städtebau in Italien steht im Zusammenhang mit der etruskischen Kolonisationstätigkeit zwischen 550 und 450 v.Chr., die zwei Stossrichtungen hat: die eine strebt gegen Süden nach Kampanien, die andere nach Norden in die Po-Ebene und darüberhinaus (11).

In Kampanien entsteht die etruskischen Kolonie Capua (12). Strabon sagt, Capua sei im ersten Viertel des 5. Jahrhunderts v.Chr. von den Etruskern gegründet worden (13); Cato berichtet in seinen Origines, die Gründung der Stadt sei 260 Jahre vor ihrem Anschluss an Rom (ca. 340 v.Chr.) erfolgt und Velleius Paterculus bezeichnet als Jahr der Gründung das Jahr 800 v.Chr. Die archäologischen Funde zeigen, dass das Gebiet des antiken Capua seit dem 9. Jahrhundert v.Chr. bewohnt war. Capua liegt an der Via Appia und war der wichtigste Ort in Kampanien. Weil die Stadt in flachem Gelände liegt, kennen wir den orthogonalen Grundriss der Stadt relativ gut.

Die etruskische Herrschaft über Kampanien war nicht von langer Dauer. Bereits im 5. Jahrhundert v.Chr. mussten sich die Etrusker unter dem Druck der Samniter, die von den Bergen zur Küste drängten, zurückziehen, nachdem das Gebiet durch das Erstarken Latiums vom etruskischen Mutterland abgeschnitten worden war. Der Verlust Kampaniens führte zu einer verstärkten Kolonisationstätigkeit im Norden der Halbinsel. Wahrscheinlich nach der Schlacht bei Alalia im Jahr 535 v.Chr. entstanden nördlich des Apennin unter anderen die Städte Atria, Spina und Marzabotto.

Atria
Die ersten Spuren einer Siedlung im Gebiet der heutigen Stadt Adria reichen in die Zeit zwischen dem 10. Und dem 6. Jahrhundert v.Chr zurück als die Veneter Pfahlbauten in dem sumpfigen Gelände errichteten, das damals direkt am Meer lag. Am Anfang des 6. Jahrhunderts v. Chr. war Adria eine einfache etruskische Siedlung an der Mündung des Mincio. Wegen seiner strategischen Lage gründeten hier 385 v.Chr, die Syrakuser einen Handelplatz als sie ihre Handelsbeziehungen auf die Adria ausdehnten. Die Stadt wurde später Beute der keltischen Gallier. Durch die fortschreitende Verlandung der Po-Mündung verlor die Stadt ihren Standortvorteil und wurde nach und nach verlassen.

Spina (14) war im 5. Jahrhundert v.Chr. der grösste Adria-Hafen und stand in lebhafter wirtschaftlicher Verbindung mit Griechenland. Es war eine Lagunenstadt wie Venedig, in der sich der Verkehr auf einem Kanalnetz abwickelte, das, wie das Strassennetz “hippodamischer” Städte, orthogonal angelegt war. Chevallier (15) vertritt die Auffassung, dass Spina die erste nach orthogonalem Muster angelegte Stadt der Etrusker gewesen sei und als Vorbild für die Planung von Marzabotto gedient habe (16).

Den Grundriss von Marzabotto kennen wir durch die Ausgrabungen, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erfolgen (17). Die orthogonal angelegte Stadt liegt 25 km südlich von Bologna im Reno-Tal an einer alten Pass-Strasse über den Appennin, die Etrurien mit der Po-Ebene verband. Lange Zeit hat man geglaubt, dass der etruskische Namen der Stadt  „Misa“ gewesen sei, weil der Ort auf einer heute Misano genannten Ebene liegt. Heute denkt man eher daran, dass der Ort Kainua hiess, denn darauf deuten die Inschriften auf zwei Bucchero-Gefässen hin, die 1999 in der Nähe des Tinia-Tempels gefunden wurden.

Die Stadt entstand in zwei Phasen, die von den Archäologen Marzabotto I und Marzabotto II genannt werden. Marzabotto I entstand zwischen 550 und 500 v.Chr. und war eher ein Dorf mit einfachen Hütten, die sich über die gesamte Ebenene verteilten, das aber schon Tempel, Kult- und Begräbnisplätze besass. Ein Kultplatz oder Altar stand in der Nähe einer Quelle.

Zu Beginn des 5. Jahrhunderts v.Chr entstand dann Marzabotto II, die orthogonal angelegte, nach etruskischem Ritus gegründete, streng nach den Haupthimmelsrichtungen ausgerichtete Stadt. Von dieser Stadt kennt man das orthogonale Strassennetz mit vier Haupt- und mehreren Nebenstrassen, die Grundmauern von mehreren Handwerkerhäusern mit Wohnteil und Werkstatt, die Akropolis mit Tempeln, mehrere Kultstätten, zwei Nekropolen, die Reste von Wasserleitungen und Abwasserkanälen, eine Ziegelei sowie eine Giesserei, die es schon in Marzabotto I gegeben hatte.

Stadtplan von Marzabotto II

Die Stadt wurde aber schon in der Mitte des 4. Jahrhunderts, infolge der keltischen Invasion in Norditalien wieder aufgegeben. Der Ort blieb seitdem unbesiedelt. Er ist für uns von besonderem Interesse, weil der ursprüngliche Stadtplan gut erhalten ist, weil ihn keine späteren Bebauungen zerstört haben. Die Ausgrabungsstätte und das dazugehörige Museum liegen unweit der Autobahn A1 (Mailand-Rom, Ausfahrt Sasso-Marconi).

Die etruskische Kolonisationstätigkeit im Norden Italiens kam bald durch die Besiedlung der Po-Ebene durch keltische Völker im 4. Jahrhundert v.Chr. zum Erliegen. Hauptorte wie Bologna (etr. Felsina) und Mantua erlangten später unter den Römern wieder überregionale Bedeutung, denn sie lagen an wichtigen internationalen Handelsstrassen.

Wie andere Völker auch, haben die Etrusker bei ihren kolonisatorischen Stadtneugründungen mit orthogonalen Bebauungsplänen gearbeitet. Die alten Städte Etruriens, wie Tarquinia, Caere, Vetulonia, Orvieto, Populonia, sind hingegen noch unregelmässig angelegt und aus langsamen Wachstum der Siedlungen oder dem Zusammenwachsen von älteren Siedlungen hervorgegangen (18).

Anmerkungen

(10) Heurgon, J.: Die Etrusker, Stuttgart (1971), S. 191
(11) Die etruskische Kolonisation in der Po-Ebene setzt Heurgon (op.cit.) ans Ende des 6. Jahrhunderts v.Chr., während Pfiffig (Einführung in die Etruskologie, Darmstadt (1972), S. 42) für eine Datierung ins 7. oder 6. Jahrhundert plädiert.
(12) Heugon, J.: Recherches sur l’histoire, la réligion et la civilisation de Capoue préromaine (1942) sowie: Pallottino, M., in La Parola del Passato, Nr. 47 (1956), S. 85ff.
(13) Strabon: Geographie V (Italien), 4.3
(14) Nach Pallottino, M.: Etruscologia, 6. Ed., Milano (N.D. 1973), S. 154, ist die etruskische Anwesenheit nördlich des Apennin gesichert für das Ende des 6. Jahrhunderts v.Chr., besonders aber für das 5. Und 4. Jahrhundert v.Chr.
(15) Chevallier, R., in: REA LIX (1957), S. 446
(16) Heurgon, J.: Die Etrusker, Stuttgart (1971), S. 193ff.
(17) Govi Elisabetta (a cura di), Marzabotto una città etrusca, Bologna 2007
Mansuelli, G.A.: Guida alla città etrusca e al museo die Marzabotto, 2. Ed., Bologna (1971); Mansuelli, G.A.: Una città etrusca nell’Appennino settentrionale, in: Situal (1965), S. 154-170; Mansuelli G.A.: La città etrusca di Misano, in: Arte antica e moderna, 17 (1962), S. 14

(18) Ducati, P.: La città etrusca; in: Historia IX (1931), S. 3ff.


sabato 29 agosto 2015

Entwicklung der römischen Stadtplanung (1)

Der orthogonale Städtebau der Griechen

Die alten Griechen haben viel über die Stadt nachgedacht, über ihre beste politische und städtebauliche, und sie entwickelten sehr klare Vorstellungen hinsichtlich der idealen Grösse einer “polis”. Eine “polis”, wie alle anderen antiken Stadtstaaten, war ein selbständiges politisches Gemeinwesen, das auch wirtschaftlich unabhängig sein musste. Dieses Prinzip verlangte ein Gleichgewicht zwischen der Einwohnerzahl und den Ressourcen des umgebenden Landes. Wenn die Einwohnerzahl einer Stadt über das hinaus gewachsen war, was das Land versorgen konnte, dekretierte die Stadtregierung die Gründung einer Kolonie, in welche die überzählige Bevölkerung geschickt wurde. Jede dieser Kolonien bildete ihrerseits wieder ein selbständiges Gemeinwesen, blieb aber aufgrund der Verwandtschaftsbeziehungen und der Heimatliebe mit der Mutterstadt verbunden. Auf diese Weise entstanden viele neue Städte griechischer Kultur in Kleinasien, in Süditalien und in Sizilien.

In Süditalien und Sizilien entstanden griechische Kolonialstädte mit orthogonalem Grundriss schon im 7. und 6. Jahrhundert v.Chr., darunter Metapontum und Selinus, beide sicher vor 500 v.Chr., das 580 v.Chr. gegründete Akragas (Agrigent), Neapolis aus dem Jahre 446 v. Chr. Die Gründung von Thurioi neben dem zerstörten Sybaris war die ein gesamtgriechisches Unternehmen unter Führung Athens. Von Diodor (1) erfahren wir einige Details dieser Koloniegründung, so von der Befragung eines Orakels, der Auffindung einer Quelle, der Errichtung der Stadtmauern, der Anlage eines Netzes breiter Hauptstrassen (plateiai) – in der einen Richtung vier, in der anderen drei – und schliesslich von der Anlage der Gebäude, die durch Nebenstrassen (stenopoi) erschlossen waren. Wenige Jahre später (433/432 v.Chr.) folgte die Gründung von Herakleia. Aus dem 5. Jahrhundert stammt auch der Stadtplan von Poseidonia (Paestum). Die Anfänge orthogonaler griechischer Stadtplanung in Süditalien reichen jedoch noch weiter zurück. Aufschlussreich sind in dieser Hinsicht die Ausgrabungen von Megara Hyblea (2) gewesen, das der Tradition nach im Jahre 753 v.Chr. gegründet worden sein soll und das 483 v.Chr. durch Syrakus zerstört wurde. Dank der archäologischen Ausgrabungen wissen wir, dass das geradlinige, wenn auch nicht rechtwinklige Strassennetz von Megara Hyblea aus der Zeit zwischen 650 und 600 v.Chr. stammt, und es gibt Hinweise dafür, dass es auf einem noch älteren aufbaut, dass bei der Gründung der Kolonie im 8. Jahrhundert v.Chr. angelegt wurde (3).

Nicht nur im italisch-sizilischen, sondern auch im griechisch-kleinasiatischen Raum erhielten bestehende und neue Städte orthogonale Bebauungspläne nach “hippodamischen” Muster. Olynthos, eine alte Hügelstadt auf der Thrakischen Chalkidike, wurde im Jahre 432 v.Chr. um ein neues, nach orthogonalem Muster angelegtes Quartier erweitert. Im Jahr 408-7 v.Chr. schufen sich die Rhodier, die bis dahin verstreut in einzelnen Dörfern gelebt hatten, eine Zentralstadt, die sie nach orthogonalem Muster anlegten. Um 360 v.Chr. entstand der Plan für Knidos, etwa gleichzeitig derjenige für Priene, das zwar keine sehr grosse aber dafür sehr elegante Stadt war.


Wohnviertel in Olynth

Die Reihe orthogonal angelegter Städte setzt sich in hellenistischer Zeit fort. Nach dem Tode Alexanders des Grossen im Jahre 323 v.Chr. entstand in Kleinasien und in Syrien eine Reihe von Königreichen und Fürstentümern, deren Herrscher ihrer neuen Macht durch die Anlage von Residenzstädten Ausdruck verleihen oder durch grosszügige Stadtsanierungen sich die Gunst des Volkes zu gewinnen suchten. Zu diesen Städten gehören das Pergamon der Attaliden, die Stadt Halikarnassos des Königs Mausolos, die Städte Aigai, Assos, Alinda, Labranda, das pisidische Antiochia, Sagalassos, Termessos, Kremna und Attalaia.

In Syrien und in Ägypten stellte sich das Problem etwas anders. Dort ging es darum, griechische Militär- und Verwaltungszentren in einem Land zu errichten, das bereits ein lange Stadttradition hatte. Plutarch (4) spricht davon, dass Alexander bereits nicht weniger als 70 Städte, darunter Alexandria gegründet habe. Alle diese Stadte erhielten, nach dem Vorbild der Kolonien, einen “hippodamischen” Grundriss. In Syrien und Mesopotamien entstehen Seleukia, die Hauptstadt des Seleucos Nicator und die Nachfolgerin Babylons, Antiochia, Damaskus, das nach neuem Plan erweitert wurde, Laodikea, Apamea und Beroea (Aleppo), Dura Europos, eine andere Seleukidenstadt am Euphrat.

Eines der Probleme, mit den sich die griechischen Philosophen des Altertums auseinandergesetzt haben, war die ideale Grösse einer Stadt. Und weil zu jener Zeit die Geometrie eine hochentwickelte und hochgeschätzte Wissenschaft war, versuchte man, das Problem mit deren Mitteln zu lösen. So hatte Platon (5) ausgerechnet, dass eine idealgrosse Stadt von 5040 Familien bewohnt sein müsse und begründet diese Zahl mit ihrer Teilbarkeit durch nichtweniger als 59 Divisoren (6). In völliger Nichtachtung der Natur sozialer und wirtschaftlicher Prozesse bestimmte er, dass eine Stadt nur dann dauerhaft sein könne, wenn die Zahl der Familien ständig die gleiche bliebe (7), und dass im Falle einer Überschreitung derselben, die überschüssige Bevölkerung fortgeschickt werden müsse, um anderenorts eine Kolonie zu gründen.

Aristoteles (8), ein Schüler Platons, war in dieser Beziehung schon vorsichtiger und hat sich nicht auf eine bestimmte Zahl festgelegt. Ausserdem zog er es vor, von der zahlenmässigen Obergrenze einer Stadtbevölkerung zu sprechen und nicht von ihrer idealen Grösse, aber auch für ihn ist das Schlimmste, was einer Stadt passieren kann, eine Übervölkerung, weil eine übergrosse Masse von Menschen nicht regierbar sei. Nach Aristoteles (9) sollte eine Stadt gerade so gross sein, dass ihre wirtschaftliche Selbständigkeit und ihre Regierbarkeit garantiert bleiben..

Anmerkungen
(1)   Diodor XII 10
(2)   Vallet, Villard et Auberson: Experiénces coloniales en Occident et urbanisme grec: Le fouilles de Megara Hyblea; in: Annales de l’Ecole française 25, 4, (1970), p. 1102-1113 (avec plans)
(3)   Ward Perkins, J.: Cities …., op.cit. S. 23-24
(4)   Plutarch, Alex. I 5
(5)   Platon, Nomoi V, 737-738
(6)   Die Zahl 5040 ist das Produkt aus 1 x 2 x 3 x 4 x 5 x 6 x 7
(7)   Platon, Nomai, V 740b
(8)   Aristoteles, Politik VII, 4
(9)   Aristoteles, Politik VII, 5

martedì 25 agosto 2015

Die Ausrichtung der römischen Stadtgrundrisse

Die Ausrichtung der römischen Stadtgrundrisse war lange Zeit Gegenstand von wilden Spekulationen und Diskussionen. Eine der ersten Hypothesen war diejenige, dass die Liniennetze der Städte, wie auch die der Centuriationen, aus religiösen Gründen genau nach den Haupthimmelsrichtungen ausgerichtet worden seien. Diese Hypothese stützte sich auf einer Beobachtung Pigorinis (1), der am Anfang des 20. Jahrhunderts diese Ausrichtung bei den Terramare-Siedlungen beobachtet haben wollte. Vierzig Jahre später widerlegte Saeflund (2) diese HYpothese. Auch die Interpretation der etruskischen Ritualbücher durch Thulin (3) und der Bericht von der legendären “urbs quadrata” Roms  sowie einige Stellen in den Schriften der römischen Feldmesser galten als Belege für die astronomische Ausrichtung römischer Städte.

Man glaubte, die Orientierung nach den Haupthimmelsrichtungen sei eine von den Etruskern übernommene Grundregel der römischen Stadtplanung gewesen. Der Grundriss der etruskischen Kolonie Misa (Marzabotto) schien dies zu bestätigen. Aber schon bald erkannte man (4), dass die Orientierung der Stadtgrundrisse auf die astronomischen Kardinalpunkte eine Ausnahme bildet, man hielt es aber für möglich, dass in gewissen Fällen eine solche angestrebt worden sei. Zu einem ähnlichen Schluss gelangte man bezüglich der Centuriationen, “die nicht die geringste Rücksicht auf die Lage der Himmelsgegenden (zeigen), sondern sich nur nach praktischen Gesichtspunkten orientieren” (5).

Bis heute hat sich verschiedentlich die Auffassung erhalten, dass der Himmelsrichtung bei der Orientierung von Städten und Centuriationen doch eine gewisse Bedeutung zukommt. Diese Auffassung stützt sich auf die Angabe der römischen Feldmesser (6), dass der “decumanus” einer Limitation in Ost-West-Richtung zu verlaufen habe, wobei die Ostrichtung nach dem Punkt des Sonnenaufgangs am ersten Vermessungstag zu bestimmen sei (7). Hieraus und aus der Tatsache, dass die römischen Kolonien häufig ihren Geburtstag feierten, folgerte Laur-Belart (8), dass die römische Kolonie Augusta Raurica bei Basel am 21. Juni des Jahres 44 v.u.Z. gegründet worden sei, denn ihr “decumanus” weist auf den Punkt, an dem die Sonne am längsten Tag des Jahres aufgeht.

Hätten die römischen Mensoren die Strassen- und Limitationsnetze nach den Haupthimmelsrichtungen orientieren wollen, so hätten sie das ohne weiteres gekonnt. Ein Verfahren dazu beschreibt Vitruv (9) ganz genau:

Man lege in der Mitte der Stadt eine marmorne glatte Scheibe wagrecht hin oder mache nach Richtscheit und Wasserwaage eine Stelle so glatt, dass eine glatte Scheibe nicht erforderlich ist, und im Mittelpunkt dieser Scheibe stelle man einen bronzenen Stab (gnomon) senkrecht auf. Ungefähr um die fünfte Vormittagsstunde ist der äusserste Punkt des Schattens dieses Stabes festzustellen und zu markieren. Dann muss man, nach dem der Zirkel (vom Mittelpunkt der Scheibe) bis zum Punkt, der die Schattenlänge des Stabes markiert, auseinandergezogen ist (mit dieser Entfernung als Radius) um den Mittelpunkt einen Kreis schlagen. Ebenso muss der nachmittäglich wachsende Schatten dieses Gnomons beobachtet werden, und, wenn er die Kreislinie berührt und einen nachmittäglichen Schatten wirft, der gleich lang ist, wie der vormittägliche, muss (das Schattenende) markiert werden. Von diesen beiden Punkten muss mit dem Zirkel ein kreuzweiser Durchschnitt beschrieben und durch den Durchschnitt der Kreisbögen und dem Kreismittelpunkt eine Linie gezogen werden bis zum äussersten, damit man die Mittagslinie (Südrichtung) und die Nordrichtung bekommt”.

Auch wenn das von Vitruv beschriebene geometrische Verfahren zur Festlegung der Nord-Süd-Richtung bekannt war, scheint es einfacher und praktischer gewesen zu sein, die Ostrichtung nach dem Ort des Sonnenaufgangs zu bestimmen. Diese letztere Methode ist auch zur Ostung von christlichen Kirchen benutzt worden. Ich selbst habe festgestellt, dass die Längsachsen verschiedener Kirchen in Umbrien so orientiert sind, dass sie auf den Punkt des Sonnenaufgangs am Tag des Stadt- oder Kirchenpatrons zeigen. Darin mag sich ein alter, aus römischer, wenn nicht schon aus etruskischer Zeit stammender Gebrauch erhalten haben.

Wie es tatsächlich mit der Orientierung römischer Bebauungspläne bestellt ist, so habe ich 44 dieser nach Regionen gegliederten Stadtgrundrisse untersucht mit dem Ergebnis, dass so gut wie alle denkbaren Orientierungen vorkommen.

Eine geringe Abweichung (1-5°) von der Nord-Süd-Richtung haben die Grundrisse von Florenz, Lucca, Marzabotto, Brescia, Colchester, Köln, Narbona, Silchester und Timgad. Bei solchen geringen Abweichungen könnte man annehmen, dass eine Nordung des Stadtgrundrisses angestrebt war, man muss aber auch noch andere Elemente in Betracht ziehen. So entwickeln sich das römische Florenz und das römische Köln etwa parallel zu den Flüssen, an denen sie liegen, bei anderen Städten, gab die Überlandstrasse die Richtung an, wie zum Beispiel bei Imola, das an einem geraden Stück der Via Aemilia liegt, die durch die Stadt hindurchführte.

Was die Ausrichtung der Stadtgrundrisse betrifft, so kann man davon ausgehen, dass dabei auch Faktoren wie die Besonnungs- und Klimaverhältnisse, die topographische Beschaffenheit des Ortes sowie der Verlauf von bestehenden Überlandstrassen und Flussläufen eine Rolle gespielt haben.

Ausrichtung nach den Winden

Vitruv (10) nennt als Kriterium für die Ausrichtung der Stadtstrassen die Windrichtung. Ihm ist viel an der Gesundheit der Stadtbewohner gelegen und so schreibt er, dass die Strassen dann richtig ausgerichtet sind, “wenn aus (ihnen) auf kluge Weise die Winde ausgeschlossen werden. Wenn diese (Winde) kalt sind, tun sie weh, wenn sie warm sind, lassen sie kränkeln, wenn sie feucht sind, schaden sie (der Gesundheit)”. Um die negativen Auswirkungen der Winde auf die Gesundheit auszuschliessen oder doch zu mildern, müssen die Stadtstrassen so ausgerichtet sein, dass den Hauptwinden kein freier Durchzug gewährt wird….. Wenn nämlich die Hauptstrassen in Richtung auf die Hauptwinde angelegt sind, dann wird der Sturm und das häufige Wehen der Winde vom offenen Himmel her, in den Engen der Nebenstrassen ziusammengedrängt, mit grösserer Kraft hindurchziehen. Deshalb müssen die Richtungen der Häuserreihen von den Windrichtungen abgewendet sein, damit (die Winde), wenn sie auf die Ecken der Häuserblöcke stossen, gebrochen werden und zurückprallend sich zerstreuen” .

Die Windrose Vitruvs mit eingezeichntem Stadtstrassenraster


Das von Vitruv beschriebene Verfahren zur Ausschliessung lästiger Winde mutet sehr theoretisch an. Es handelt sich um die geometrische Konstruktion einer achtteiligen Windrose, in die der Stadtplan unter einem bestimmten Winkel eingezeichnet wird. Die Windrose konnte bestenfalls dazu dienen, die Himmelsrichtungen festzulegen, um dann die vorherrschenden Windrichtungen an einem Ort zu ermitteln. Noch einfacher wäre es gewesen, Ortsansässige zu fragen, denn diese wissen am Besten, aus welcher Richtung die lästigsten Winde wehen.

Nach Vitruvs Verfahren mit der achteckigen Windrose erhalten die Strassen eine um 22,5° von der Nord-Süd-Achse abweichende Orientierung, d.h. eine Ausrichtung gegen NNO-SSW oder NWW-SSO. Die Fernhaltung lästiger Winde aus dem Stadtraum ist sicher ein wichtiger Gesichtspunkt, aber auch dessen gute Durchlüftung ist wichtig. 


Ausrichtung nach der Sonne

Ein wichtiges Kriterium für die Ausrichtung von Wohnräumen  ist die Besonnung. Vitruv behandelt diese Ausrichtung im Zusammenhang mit den verschiedenen Arten von Bauwerken aber nicht im Zusammhang mit der Anlage des städtischen Strassennetzes.

Die Orientierung von Gebäuden nach der Sonne hat den Zweck, diesen im Winter möglichst viele wärmende Sonnenstrahlen zu verschaffen und im Sommer übermässige Erhitzung zu vermeiden. In diesem Sinne hat sich in europäischen Breiten die Südorientierung der Gebäude schon immer als die günstigste erwiesen, sofern im Sommer schattenspendende Elemente eine direkte Sonneneinstrahlung in die Gebäude und somit ihre Überhitzung verhindern. Das wussten auch die antiken Architekten und haben vielfach danach handelt.

Gaetano Vinaccia, ein italienischer Autor des letzten Jahrhunderts (11), will festgestellt haben, dass die Ausrichtung der Strassennetze vieler italienischer Städte römischen Ursprungs um etwa 30° von der Nord-Süd-Richtung abweichen und hat daraus gefolgert, dass sie unter Berücksichtigung der in Italien üblichen Besonnungsverhältnisse angelegt worden sind. Vinaccia zufolge, sollten in Italien die Strassen nicht nach den Haupthimmelsrichtungen ausgerichtet sein, sondern, um eine zweckmässige Besonnung zu erreichen, eher gegen NO-SW oder NW-SO. Er kommt zum Schluss, dass die “von den Römern festgestellten heliothermischen Zusammenhänge …. die gleichen (sind), die wir heute aufgrund genauer Berechnungen gewinnen”.

Die Zweckmässigkeit einer Abweichung von etwa 30° von der Nord-Südachse ist nun keinesfalls bewiesen, wie Vinaccia meint. Um optimale Wärmegewinne zu erzielen ist eine allgemeine Südorientierung in jedem Fall zu bevorzugen, wobei eine maximale Abweichung von 30° tolerierbar ist. Die grossen römischen Thermen Roms sind alle nach Südwesten ausgerichtet, und zwar weil die Hauptbadezeit damals der frühe Nachmittag war.

Viel wichtiger als die Ausrichtung der Strassen ist die Ausrichtung der Wohnräume zur Sonne. Vitruv (12) widmet dieser Ausrichtung ein ganzes Kapitel seines Werkes. 

„Winterspeisezimmer und Bäder sollten gegen Süd-Süd-West gerichtet sein, weil man so das Abendlicht ausnützt und auch weil die Abendsonne Wärme ausstrahlt und diese Räume erwärmt. Schlafzimmer und Bibliotheken müssen gegen Osten gerichtet sein, denn ihre Benutzung erfordert die Morgensonne, und ausserdem modern in den Bibliotheken die Bücher nicht. In Räumen nämlich, die nach Süden und Westen ausgerichtet sind, werden die Bücher von Bücherwurm und Feuchtigkeit beschädigt, denn die von dort kommenden feuchten Winde bringen Bücherwürmer hervor, begünstigen deren Fortpflanzung und rufen durch ihre Feuchtigkeit Schimmel hervor, der die Bücher verdirbt. Die Frühlings- und Herbstspeisezimmer müssen nach Osten sehen. Denn, dem Licht ausgesetzt, werden sie von der aufgehenden, nach Westen fortschreitenden  Sonne, erwärmt, so dass sie zu der Zeit, zu der man sie gewöhnlich benutzt, mässig warm sind. Sommerspeisezimmer sind nach Norden auszurichten, weil diese Ausrichtung nicht wie die übrigen zur Zeit der Sonnenwende nicht glühend heiss wird; denn, der Sonne abgewandt, ist sie immer kühl und garantiert während Benutzung Gesundheit und Annehmlichkeit. Nach Norden sind auch die Pinakotheken, die Werkstätten der Brokatweber und die Ateliers der Maler auszurichten, damit die Farben dank des immer gleichmässigen Lichtes ihre Qualität nicht verlieren“.

Um die Ausrichtung der Speisezimmer zu verstehen, muss man wissen, dass die Römer ihre Hauptmahlzeit, die cena, am späten Nachmittag einnahmen, nachdem sie vorher die Thermen besucht hatten. Die anderen zwei Mahlzeiten, das Frühstück  (jentaculum) und das Mittagessen (prandium) waren einfache Imbisse, die meistens in Eile eingenommen wurden. Ausserdem ist zu berücksichtigen, dass sich Vitruvs Empfehlungen auf Häuser beziehen, die maximal zwei Geschosse hatten und deren Besonnung kein grosses Problem war.

Berücksichtigung topographischer Faktoren

Dass man eine Stadt mit Rücksicht auf die örtliche Topographie ins Gelände legt, ist eigentlich das natürlichste. Um die unerlässliche Befestigung der Orte zu erleichern, wählte man früher möglichst Gelände mit steilen, schwer erklimmbaren Rändern an denen die Befestigungswerke errichtet wurden. Die zweckmässigste Ausrichtung der Strassen war dann die, die sich besten in das von den Mauern begrenzte Gelände einfügen lies. Dieser Gesichtspunkt wird von Vitruv nicht erwähnt, wahrscheinlich, weil dieses Vorgehen überhaupt das übliche und bequemste war und deshalb die von Vitruv für wichtig gehaltenen Aspekte oft zu kurz kamen.

Will man etwas über den Einfluss der örtlichen Topographie auf die Ausrichtung der römischen Stadtgrundrisse erfahren, muss man schon die jeweilige Situation genau anschauen. In Augusta Raurica hat man bei der Ausrichtung der Strassen ganz eindeutig auf das Gelände Rücksicht genommen. Die Nord-Süd-Strassen weichen von der geographischen Nord-Süd-Achse um etwa 37° gegen Westen ab, denn sie verlaufen rechtwinkling zum Hügelfuss im Süden und parallel zu den Flanken des ins Rheintal vorgeschobenen Geländeschildes. Diese Ausrichtung erlaubte es, immerhin drei Nord-Süd-Strassen un voller Länge durch das Gelände zu ziehen. Das diese Ausrichtung die vorteilhafteste im gegebenen Gelände ist, beweisen vier Wege östlich der römischen Stadt, welche etwa die gleiche Ausrichtung haben, jedoch das Ergebnis einer modernen Landumlegung sind. Man sieht also, dass die heutigen Vermessungsingenieure nach den gleichen Gesichtspunkten gearbeitet haben wie 2000 Jahre früher ihre römischen Kollegen.

Wenn man das relativ kleine Raster städtischer Strassennetze mit Rücksicht auf die Topographie ausgerichtet hat, so gilt dies erst recht für die Grossraster der Centuriationen. Dies wird sogar von den römischen Feldmessern selbst bestätigt. Nach Frontinus (13) und Hyginus Gromaticus (14) soll eine der Hauptvermessungslinien des zu limitierenden Geländes durch dessen grösste Ausdehnung gelegt werden (“non nulli alid secuti, ut quidam agri magnitudinem, qui qua longior erat, fecerunt decumanum”). Je länger eine gerade Linie im Gelände gezogen werden kann, um so exakter fällt die Vermessung aus.

Wenn nicht das Gelände für die Ausrichtung den Ausschlag gab, so waren es in manchen Fällen der Flusslauf. Das römische Köln ist so angelegt, dass seine Nord-Süd-Strassen parallel zum Rhein verlaufen. Im Falle Veronas dürfte die Überbrückung der Etsch für die Anlage des Strassennetzes entscheidend gewesen sein, und auch Parma liegt so am Fluss, dass dieser und die rechtwinklig zu ihm verlaufende und ihn überquerende Hauptstrasse die Stadt in vier Teile gliederte (15).


Ausrichtung nach der Centuriation und den Landstrassen

Ausser geographischen und topographischen Gegebenheiten sind es oft auch andere Elemente der Raumordnung gewesen, insbesondere Centuriationen, welche bei der Ausrichtung von römischen Stadtgrundrissen eine Rolle gespielt haben. So bezeichnet es Hyginus (16) als ideal, wenn der “decumanus maximus” und der “cardo maximus” einer Centuriation zugleich die Hauptvermessungslinien des Stadtgrundrisses bilden, so dass diese Linien sich im Mittelpunkt der Stadt kreuzen und zu den Toren der Stadt hinauslaufen. Hyginus selbst gesteht aber ein, dass dies nur in Ausnahmefällen zu erreichen sei und gibt als Beispiel für solche eine Ausnahme die Stadt Admedara in Nordafrika an.

Die Koordinierung von Centuriation und Stadtgrundriss beschränkt sich hauptsächlich auf eine gleiche Ausrichtung beider Elemente. Es war dazu nicht nötig, dass der “decumanus maximus” der Flurteilung unbedingt durch die Stadt verlief; er konnte auch in Stadtnähe verlaufen (17), wie im Fall von Lucca (18). In Lucca verläuft die südliche Stadtmauer parallel zu einem “decumanus” und die in Nord-Süd-Richtung verlaufende Hauptstrasse der Stadt fällt genau mit einem “cardo” zusammen, der heute noch im Gelände durch den Lauf des Fosso Formicola markiert wird. Das römische Lucca lag jedoch nicht innerhalb der Centuriation, sondern zwischen dieser und dem Flüsschen Serchio.

Gut sichtbar ist die Verbindung von Stadtgrundriss und Centuriation in Imola (Forum Corneli) an der Via Aemilia, etwa 35 km südöstlich von Bologna. Nordöstlich der Via Aemilia erstreckt sich die Centuriation in die Ebene hinein, südwestlich von ihr liegt die Stadt; beide sind wie die Via Emilia ausgerichtet und selbst die heutige Eisenbahnlinie verläuft auf einem alten “decumanus”.

Die Forderung Hygins einem Stadtgrundriss die gleiche Ausrichtung zu geben wie der Centuriation, hat nichts mit Ästhetik zu tun, sondern entspringt einer praktischen Überlegung. Flurgrenzen und -marken im Gelände können sich mit der Zeit verlieren oder willkürlich verändert werden, sie lassen sich aber leicht rekonstruieren sofern es einige unveränderliche Vermessungsfixpunkte gibt. Gute und beständige Fixpunkte sind zum Beispiel Ecken von Stadtmauern und Gebäuden. In Ländern, die kein genaues und versiegeltes Vermessungssystem besitzen, werden solche Elemente auch heute noch von den Geometern als Fixpunkte herangezogen. Befand sich, wie Hyginus es empfiehlt, der Mittelpunkt des Vermessungssystems in der Stadt und war dort fest markiert, und hatten überdies die Stadtstrassen die gleiche Ausrichtung wie die “limites” der Centuriation, so konnte man jederzeit im Bedarfsfall das gesamte System unschwer rekonstruieren. Die Forderung nach Koordinierung von Stadt- und Centuriationsraster ist also keine theoretische Spitzfindigkeit, sondern eine praktische Vorkehrung.

Ob und wieweit Landstrassenverlauf, Centuriation und Stadtgrundriss miteinander verbunden werden konnten, das bestimmte in letzter Instanz die Topographie des Landes. Deshalb finden wir in Italien Gesamtsysteme von Stadt, Landstrasse und Centuriation vor allem in der weiten Po-Ebene. Dort bildet die parallel zu den vorapenninischen Hügeln verlaufende Via Aemilia zwischen Caesena und Placentia das Rückgrat der Städte und Centuriationen. Wie Perlen auf einer Schnur sind auf ihr die Städte Forlì, Faenza, Imola, Bologna, Modena, Reggio Emilia, Parma, Fidenza und Piacenza aufgereiht. Die Centuriationen erstrecken sich von der Strasse gegen das offene Land, mehr oder weniger streng auf diese Achse bezogen. Die grossen geradlinigen “viae publicae” bilden oft das gemeinsame Rückgrat von Stadtgrundriss und Centuriation (19).

Das ist jedoch nicht die Regel. Manche grosse römische Überlandstrassen sind erst viel später als die Städte gebaut worden, die an ihnen liegen, und ihr Verlauf musste an den der Stadtstrassen angepasst werden. In Bologna verläuft die Via Aemilia mit zwei deutlichen Knicken, vielleicht weil man die Hauptstrassen der Stadt, die schon vom etruskischen Felsina her vorgegeben waren, beibehalten wollte als die römische Strasse gebaut wurde. In Mutina (Modena) und Parma passt sich das städtische Strassennetz der Ausrichtung der Überlandstrasse an (20). Die Via Emilia folgt der natürlichen Ausrichtung der Höhenzüge des Apennin und seiner Ausläufer und ihren geradlinigen Verlauf verdankt sie dem ebenen Gelände durch das sie führt.

Ein Beispiel für die Anpassung des Landstrassenverlaufs an ein Stadtstrassennetz nennt Hyginus Gromaticus (21) den Fall der Stadt Anxur (Terracina). Diese römische Kolonie wurde 329 v. Chr. gegründet, also 17 Jahre vor dem Bau der Via Appia, war also zum Zeitpunkt des Strassenbaus  schon vorhanden und vielleicht auch centuriert. Durch die Richtungsänderung der Strasse erreichte man, dass die Via Appia auf dem “decumanus maximus” durch die Stadt geführt werden konnte (“decimanus maximus per viam Appiam observatur”). Eine ähnliche Anpassung wurde auch in Capua vorgenommen. Auch dort verläuft die Via Appia die Stadt mit zwei deutlichen Knicken (22).

Wenn Planung und Bau von Städten und Landstrassen auch meist nicht gleichzeitig erfolgte und deshalb später Anpassungen notwendig waren, so war es jedoch häufig möglich Stadtplan und Centuriation aufeinander abzustimmen, denn die Koloniegründungen verlangten eine vorgängigen Landaufteilung, um den anzusiedelnden Kolonen das erfoderliche Ackerland zuteilen zu können. Bei dieser Landaufteilung wurde wohl in der Regel auch der Standort der städtischen Siedlung festgelegt, damit diese eine günstige Lage zu den Feldern bekam.

Der Einfluss älterer Siedlungsstrukturen

In machen Fällen folgt die Ausrichtung römischer Stadtstrassennetze früheren Bebauungen, zum Beispiel in diejenigen Fällen, in denen zerstörte Städte und Stadtteile wieder aufgebaut werden mussten.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Stadt Karthago, die etwa 15 km nördlich der heutigen Stadt Tunis liegt. Karthago war eine Gründung phönizischer Kaufleute aus Tyrus und entwickelte sich in der Folge zum Zentrum des punischen Handelsimperiums. Damit wurde es zum grössten Konkurrenten Roms im Mittelmeerraum. Nach der Vernichtung der punischen Vormachtstellung im 2. Punischen Krieg (218 bis 201 v. Chr.) war es Roms Absicht, Karthago völlig niederzuhalten. Die Zerstörung der Stadt erfolgte jedoch erst im Jahr 146 v. Chr. durch P. Cornelius Scipio Aemilianus, doch schon 24 Jahre später, im Jahre 122 v. Chr. brachte Gaius Gracchus im Senat den Antrag ein, auf dem Territorium Karthagos eine römische Kolonie anzulegen. Trotz des Widerstandes im Senat kam es zur Koloniegründung, doch schon ein Jahr später musste die Kolonie aus staatsrechtlichen Gründen – Kolonien konnten nicht auf Provinzialboden gegründet werden –wieder aufgehoben werden (23). Trotzdem gelang es C. Gracchus auf karthagischem Boden 6000 römische Bürger anzusiedeln, wenn auch ohne Koloniestatus, wozu das ganze Territorium vermessen und aufgeteilt wurde (24). Zur richtigen, dauerhaften Koloniegründung auf karthagischem Boden kam es aber erst im Jahre 45 v. Chr. unter Caesar, der dort Soldaten ansiedelte (25) und auch die Stadt Karthago wieder aufbauen liess. Weitere 3000 Bürger wurden im Jahre 29 v. Chr. durch Augustus angesiedelt (26). Der Wiederaufbau Karthagos in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhundert v. Chr. war eigentlich ein Neuaufbau, denn die Stadt war weitgehend zerstört. Die neueren Ausgrabungen im Stadtgebiet von Karthago haben gezeigt, dass der Stadtplan der römischen Stadt sich auf dem der vorhergehenden punischen Stadt entwickelte, die einen orthogonalen “hippodamischen” Grundriss hatte, also in längliche schmale “insulae” geteilt war (27). Das Grundraster dieser Stadtanlage und seine Ausrichtung parallel zur Küstenlinie wurde von den Römern beim Wiederaufbau beibehalten, weil sich dadurch ein Teil der alten Strassen und Abwasserkanäle weiterbenutzen liess und die neuen Gebäude unter Benutzung der vorhandenen Fundamente errichtet werden konnten. Insbesondere liessen sich auf diese Weise die Zisternenanlagen erhalten, die jedes karthagische Haus besass, und die nun schon ziemlich tief unter dem Erdgeschossniveau lagen.

Schlussfolgerungen
Damit wird deutlich, dass sich die Ausrichtung vieler raumordnender Elemente, vornehmlich die der Strassen, sich den örtlichen topographischen Verhältnissen anpasst, die somit zum ausschlaggebenden Faktor wird. Wenn wir entdecken, dass bei römischen Städten oft Strassen, Flurteilung und Stadtgrundriss ineinandergreifende Teile eines einzigen Systems sind, so ist das kein blosser Formalismus, sondern häufig reine Zweckmässigkeit.

Anmerkungen

(1)   Pigorini, in: Bull. Pal. It. XXVI (1900)
(2)   Saeflund: Le Terramare, in: Acta Instituti Romani Regni Sueciae, VII (1939)
(3)   Thulin: Die etruskische Disziplin I-III, Göteborgs Högskolas Årsskrift (1905, 1906, 1909)
(4)   Lehmann-Hartleben: “Städtebau” in: RE Bd, IIIA, col. 2049
(5)   Fabricius: “Limitation”, in: RE XIII, col. 686
(6)   Front. 27, 13; 31, 1. Hyg. Grom. 166, 10
(7)   Front. 31, 4.; Hyg. Grom. 170,3; 182,8; 183,13
(8)   Laur-Belart, R.: Führer durch Augusta Raurica, a.a.O., S.10; vgl. Stohler, H.: Rekonstruktion des Vermessungssystems der Römerkolonie Augusta Raurica, in: Schweizerische Zeitschrift für Vermessung, Kulturtechnik und Photogrammetrie, Nr. 12 (1957)
(9)   Vitruv, de arch. I, VI
(10)Vitruv, de arch. I, VI, 1
Vitruv, de arch. I, VI, 6-7
(11)Vinaccia, G.: Il problema dell’orientamento nell’urbanistica dell’antica Roma. Quaderni dell’Istituto di Studi Romani, Roma 1939
(12)Vitruv, de arch., VI, 4, 1-2
(13)Front. 29, 2
(14)Hyg. Grom. 170, 10
(15)Philipp, in: RE XVIII, S. 1545
(16)Hyg. Grom. 180ff.
(17)Hyg. Grom. 178,12; 179,8)
(18)Somella, P. & C.F. Giuliani: La pianta di Lucca Romana, Roma 1974, Tafel I
(19)Lehmann-Hartleben:  “Städtebau” in: RE Bd, IIIA, S. 2050
(20)Fraccaro, P.: Opuscula III, S. 51ff., 63ff., 151ff.; vgl. Radke, in: RE Suppl. Bd. XIII, S. 1423

(21)Hyg. Grom. 179,11 ff.


Die Ursprünge des orthogonalen Stadtplans

Die Suche nach den Ursprüngen des römischen orthogonalen Städtebaus hat Generationen von Forschern beschäftigt. Einige haben diesen Ursprung im griechischen und hellenistischen Städtebau gesucht, andere in der Anlage des römischen Militärlagers wie sie von Polybios und Hyginus beschrieben wird, wieder andere bei den Etruskern und in den Gebräuchen, die von den Agrimensoren beschrieben sind.

Griechische Vorbilder

Die ersten griechischen Kolonisatoren erreichten Italien schon am Ende des 7. oder am Anfang des 8. Jahrhundert v.Chr. In den darauffolgenden Jahrhunderten gründeten sie Kolonien in Sizilien und im Süden der italischen Halbinsel. Mit diesen Siedlungen wurde die Grundlage für einen intensiven Austausch materieller und geistiger Güter zwischen Griechenland und den italischen Völkern geschaffen.

Ihre Kolonisationstätigkeit zwang die Griechen dazu, sich intensiv mit den theoretischen und praktischen Problemen nicht nur des Städtebaus, sondern generell mit der Organisation einer Stadt auseinanderzusetzen, denn jede ihrer Städte war ein unabhängiger politischer Organismus, der für sich in jeder Beziehung verantwortlich war. Die Gründlichkeit, mit der sich die Griechen diesen Problemen angenommen haben, machte sie zu Spezialisten auf dem Gebiet der Staatstheorie, des Städtebaus und der Gesetzgebung. Die weniger entwickelten italischen Völker wandten sich deshalb nicht selten an die Griechen und fragten sie um Rat gefragt, vor allem in Fragen des Städtebaus und der Gesetzgebung.

Unsere Kenntnisse der griechischen Theorien reichen leider nur bis ins 5. Jahrhundert v.Chr. und basieren vor allem auf den Schriften von Platon und Aristoteles.
Die späteren Griechen schrieben die Erfindung des orthogonalen Bebauungsplans dem Hippodamos von Milet zu, weshalb auch die griechischen Bebauungspläne oft als “hippodamisch” bezeichnet werden.

Hippodamos, der wahrscheinlich am Ende des 6. Jahrhunderts v.Chr. in Milet geboren wurde, war ein praktisch, wie theoretisch tätiger Städtebauer. Ihm wird der Bau des Piraeus zugeschrieben, des im ersten Viertel des 5. Jahrhunderts entstandenen Hafens von Athen. Möglicherweise war er auch an der Gründung von Thurioi (444-443 v.Chr.), einer ionischen Kolonie in Süditalien, beteiligt (1). Ungewiss ist, ob er schon am Wiederaufbau seiner, von den Persern im Jahre 479 zerstörten Heimatstadt Milet beteiligt war, die streng nach orthogonalem Schema organisiert ist. Falsch ist die Annahme Strabons, er sei der Urheber des Plans für Rhodos, weil diese Stadt erst um 408-407 v.Chr. gegründet worden ist (2).

Hippodamischer Stadtplan von Milet

Die Zeugnisse orthogonalen Städtebaus reichen jedoch an der ionischen Küste Kleinasiens weit in die Zeit vor Hippodamos zuruck, der somit nicht dessen Erfinder sein kann. Schon im 7. Jahrhundert v.Chr. wurde die Stadt Smyrna nach einem Grossbrand nach orthogonalem Schema wiederaufgebaut, wovon einer Reihe gerader, nord-süd-gerichteter Strassen bekannt sind (3). Auch der Wiederaufbau Milets nach dem Perserkrieg erfolgte ohne direkte Beteilung von Hyppodamos, der wahrscheinlich erst dadurch angeregt worden ist, sich theoretisch mit der Stadtplanung auseinanderzusetzen. Hyppodamos ist also bei weitem nicht als Erfinder des “hyppodamischen” Städtebaus anzusehen. Eher ist anzunehmen, dass er über dieses Thema schrieb und ein Theorie dazu entwickelte.

Zu einer grossen Welle orthogonalen Städtebaus kam es, als die ionischen Städte Kleinasiens begannen, im 7. und 6. Jahrhundert v.Chr. Kolonien in Sizilien und Süditalien zu gründen. Zu diesen zählen: Megara Hyblea (gemäss der Überlieferung 753 v.Chr., aber sicher später anzusetzen), Akragas (580 v.Chr.) Metapontum und Selinus (beide sicher vor 500 v.Chr.), Neapolis (446 v.Chr.) Heraklea (433-432 v.Chr.), Syrakus, Poseidonia (Paestum), Zancle (Messina), Rhegion, usw.

Einer der ältesten diese Kolonien war Megara Hyblea. Die Stadt hat ein geradliniges, wenn auch nicht rechtwinklig sich kreuzendes Strassennetz, das aus der Zeit zwischen 650 und 600 v.Chr. stammt. Es gibt aber Hinweise dafür, dass dieses Strassennetz auf einem älteren aufbaut, das bei der Koloniegründung angelegt worden ist.


Nicht nur die neuen Städte in Sizilien und Süditalien erhalten orthogonale Grundrisse nach “hippodamischen” Muster, sondern auch die in Griechenland und Kleinasien, so Olynthos (4) (432 v.Chr.), Rhodos (408-407 v.Chr.) Knidos und Priene (beide um 360 v.Chr.).

Das Militärlager

Im antiken römischen Städtebau lassen sich gewisse Beziehungen zur Anlage von Militärlagern erkennen. Leider ist diese Beziehung von der modernen Forschung oft nur unter dem Aspekt der Ursprungs behandelt worden. Viel Zeit hat man mit der Diskussion der Frage verloren, ob das Konzept des orthogonalen römischen Bebaungsplans aus dem Plan der Militärlager hervorgegangen sei, oder, umgekehrt, ob der Lagerplan aus dem orthogonalen Städtebau enstanden sei. Diese Frage haben sich schon verschiedene antike Autoren gestellt und der zweiten Hypothese den Vorzug gegeben. Polybios (5) vergleicht die Anlage eines römischen Militarlägers mit derjenigen einer Stadt, und sagt: “ Das ganze Lager bildet ein gleichseitiges Rechteck (Quadrat); in seinen Einzelheiten gleicht es einer Stadt, vor allem wegen der Anlage der Strassen”.
Auch Livius (6) drückt sich in ähnlicher Form aus, denn auch er meint, dass das Lager eher einer Stadt gleiche als umgekehrt. 

Ein oberflächlicher Betrachter, der die römischen Stadtpläne von Aosta und Torino sieht, könnte daraus schliessen, dass diese nichts anderes seien als eine Anpassung des Militärlagers an zivile Bedürfnisse (7), aber diese Ähnlichkeit täuscht, und heute hat sich mehr oder weniger die Auffassung durchgesetzt, dass die Erfahrungen mit dem zivilen Städtebau das römische Militäringenieurwesen nicht wenig beeinflusst haben.

Das, was das römische Militärlager, wie es von Polybios und Hyginus beschrieben wird, und die orthonal angelegten Städte der Römer verbindet, ist die Rechtwinkligkeit ihrer inneren Aufteilung. Man kann auch noch die vier Tore und die Kreuzung der zwei Hauptstrassen hinzufügen, aber das ist schon alles. 

Schon das Raster, welches das Militärlager unterteilt, ist völlig verschieden von dem der Städte, schon aus dem einfachen Grund, weil die Bedürfnisse beiden Fällen sehr verschieden waren. Ein Militärlager wird entsprechend der verschiedenen Truppenteile unterteilt, für die es gedacht ist, während ein Stadtareal im Hinblick auf den Bau von Privathäusern, öffentlichen Gebäuden und Plätzen aufgeteilt wird.

Schematischer Plan eines römischen Militärlagers (nach Polybios)

Wenn man den antiken Quellen folgt, so ist der orthogonale Stadtgrundriss älter als der Militärlagerplan. Nach Frontin (8), haben die Römer mit der systematischen und rechtwinkligen Anlage ihrer Militärlager erst begonnen, nachdem sie das im Jahre 275 v.u.Z. von ihnen eingenommene Lager des Pyrrhus kennengelernt hatten. Zu dieser Zeit hatten aber bereits Norba (342 v.Chr.), Alba Fucens (303 v.Chr.) uns Ostia (um 325 v.Chr.) orthogonale Grundrisse erhalten. Aus diesem Grund erscheint die Hypothese vom Hervorgehen des orthogonalen Stadtplans aus dem Militärlagerplan wenig überzeugend.

Unzweifelhaft besteht ein Zusammenhang zwischen römischen Städtebau und römischen Militäringenieurwesen, schon allein aus dem Grund, weil es keinen Unterschied zwischen Zivil- und Militäringenieuren gab. Es gab keine Spezialisierung wie heute, und der Ingenieur und der Architekt mussten beide in der Lage sein, sowohl zivile als militärische Bauwerke zu planen. Auf diese Weise haben sich die Erfahrungen auf beiden Gebieten durchdrungen, und diese Vereinigung der Kenntnisse im gleichen Personenkreis hat sicher nicht unwesentlich die Entwicklung auf beiden Gebieten gefördert. Ausserdem ist anzunehmen, dass die römischen Ingenieure und Architekten, oder allgemeiner gesprochen, die technisch gebildeten Personen, die wir heute so bezeichnen würden, auch die städtebaulichen Konzepte der Griechen kannten.

Die oberflächliche Ähnlichkeit von Militärlager und Stadtplan lässt sich auch auf die von den antiken Ingenieuren und Agrimensoren benutzten Planungs- und Vermessungstechniken zurückführen. Diese Techniken sind wahrscheinlich schon viel früher bekannt gewesen und bei der Vermessung von Landstücken und bei Grenzziehungen benutzt worden. 


Die etruskische Disziplin

Verschiedene antike Autoren berichten vom etruskischen Ritual der Stadtgründung. Die Etrusker galten als Spezialisten auf diesem Gebiet. Das Ritual bestand, ausser gewissen religiösen Zeremonien und der Bestimmung eines glückverheissenden Tages, in der Begrenzung des Stadtareals durch eine Furche, die mit einem bronzenen Pflug gezogen wurde, vor dem ein Stier und eine Kuh gespannt waren. Dabei musste die Scholle nach innen fallen, so dass sie symbolisch die Stadtmauer darstellte und die Furche den vor ihr liegenden Graben. An den Stellen, an denen die Tore vorgesehen waren, wurde der Pflug angehoben und damit die Furche unterbrochen. Dieser primigenius sulcus galt als heilig, wie alle Grenzen bei den Etruskern, und bezeichnete den Ort an dem die Auspizien der Stadt endeten.

Unterteilung des Himmels gemäss der Disciplina etrusca

Schon zur Zeit Plutarch (46/48-125/127 n.Chr.) war die ursprüngliche Bedeutung vieler etruskischer Riten und Gebräuche nicht mehr ganz klar, und viele Elemente der etruskischen Tradition wurden miteinander vermischt, aber auch wegen ihres ehrwürden Alters respektiert.
 
In Etrurien aufgefundene Grenzsteine bestätigen die Angaben der antiken Schriftsteller, nach denen die Grenzen bei den Etruskern besondere Heiligkeit besassen und, dass derjenige, der sie verletzte, den Zorn der Götter zu fürchten hatte. Grenzen mit Verwünschungen zu schützen ist eine sehr verständliche Sache, wenn man bedenkt, dass es in den alten Gesellschaften keine genauen Katasterkarten gab und es deshalb leicht war, die Grenzen zu verschieben.


Die Etrusker haben bei der Gründung ihrer Kolonialstädte ebenfalls orthogonale Grundrisse benutzt. Zu diesen Kolonien gehören Atria, Spina und Marzabotto. Spina war im 5. Jahrhundert v.Chr. der grösste Hafen an der Adria und war in lebhafter wirtschaftlicher Verbindung mit Griechenland. Auf den Luftaufnahmen ist seine orthogonale Anlage gut erkennbar. Das bekannteste Beipiel ist jedoch Marzabotto im Renotal, 25 km südlich von Bologna.

Die Landvermessung

Bezüglich der römischen Stadtplanung haben auch die Bücher der römischen Agrimensoren viel Verwirrung verursacht, in denen diese die Flurvermessung und Flurteilung behandeln. Diese Schriften, von denen die ältesten vom Ende des 1. Jahrhundert u.Z. stammen, enthalten technische Regeln zur Landvermessung und Auszüge aus dem römischen Bodenrecht. Die Agrimensoren führten ihre Kunst gern auf die Etrusker zurück, manche auch auf die alten Agypter, hauptsächlich um auf deren hohes Alter hinzuweisen. Es ist anzunehmen, dass dies auch die Absicht Frontins war, wenn er Varro zitiert, der den Ursprung der Landvermessung auf die etruskische Disziplin zurückführt, nach der, zur Beobachtung des Vogelfluges, ein Bezirk abgegrenzt und nach den Himmelsrichtungen unterteilt wurde, den die Römern “templum”, nannten. 

Die Instrumente, mit denen man in römischer Zeit Flurgrenzen und andere gerade Linien im Gelände festlegte waren die groma, der Messtab und die Messlatte. Die groma war ein Instrument, das die gleiche Funktion wie die Kreuzscheibe hatte, die noch vor einem halben Jahrhundert von unseren Geometern benutzt wurde. Mit ihr konnte man gerade, sich rechtwinklig kreuzende Linien im Gelände ausfluchten. Der Name des Instruments ist die etruskische Form des griechischen gnomon, des Schattenstabs mit dem man die Mittagslinie bestimmte.. Wahrscheinlich wurde das Instrument in Italien bekannt und ist sein Name in die etruskische Sprache eingedrungen, als die Etrusker im 6. Jahrhundert v.u.Z. begannen Kampanien zu kolonisieren und dabei in direkten Kontakt zur griechischen Welt traten.


Anmerkungen

(1)   Die Gründung von Thurioi war eine gesamtgriechische Unternehmung unter Führung Athens. Diodor (XII 10) berichtet einige Details dieser Gründung, so von der rituellen Befragung eines Orakels, von der Auffindung einer Quelle, der Errichtung der Stadtmauern, der Anlage breiter Hauptstrassen (plateiai) und schliesslich vom Bau der Häuser, die durch Nebenstrassen (stenopoi) erschlossen waren.
(2)   Ward Perkins, J.: Cities …., op. cit., S. 11; sowie: Castagnoli, F.: Othogonal Town Planning, op. cit., S. 66-72
(3)   Ward Perkins, J.: Cities …., op. cit., S. 16
(4)   Olynthos, eine alte Hügelstadt auf der thrakischen Chalkidike, erhielt im Jahre 432 v.Chr. als Erweiterung ein nach orthogonalem Muster angelegtes Quartier
(5)   Polybios, VI 31, 10
(6)   Livius XLIV 39
(7)   Ward Perkins, J.B.: The Early development of Roman Town Planning. Acta Congressus Madvigiani Hafniae MDMLIV, vol. 4, Copenhagen 1958, p. 119
(8)   Frontin, Strategemata IV 1, 14

Die Anlage des Stadtgrundrisses

Der Zweck eines Bebauungsplanes ist es, Strassen und Plätze sowie Baugrundstücke für öffentliche und private Bauten auszuscheiden. Im Bebauungsplan wird also die Einteilung des Stadtareals festgelegt. Bei Vitruv (1) heisst es dazu: Nach der Anlage der Ringmauer folgt innerhalb der Stadtmauer die Einteilung des Baugeländes und die Ausrichtung der Haupt- und Nebenstrassen nach den Himmelsrichtung”. Leider gibt Vitruv keinerlei Kriterien dafür an, wie dies zu machen sei.

Wenn wir Einzelheiten über die Einteilung römischer Stadtgrundrisse erfahren wollen, müssen wir diese im einzelnen betrachten. Man kann jedoch davon ausgehen, dass man bei der Anlage von Stadtgrundrissen auch in römischer Zeit von bestimmten Baugrundstückgrössen und Strassenbreiten ausging. Über die üblichen Grundstückgrössen und Strassenbreiten finden wir bei Vitruv und anderen Autoren keine Angaben. Wir können sie deshalb nur aus den archäologischen Befunden ableiten.

Der ideale Stadtgrundriss

Die ideale Form einer geplanten römischen Stadt, ist die eines von den Stadtmauern eingefassten Rechtecks, das durch ein Strassenkreuz in vier Regionen geteilt ist. Diese Hauptstrassen führen durch die vier Stadttore, von denen jedes auf einer Rechteckseite liegt, und setzen sich jenseits dieser Tore im Umland fort. Die vier Regionen sind nochmals durch Nebenstrassen unterteilt, die parallel zu den Hauptstrassen verlaufen. In der Mitte der Stadt, dort wo sich die beiden Hauptstrassen kreuzen, liegen das Forum und der Haupttempel der Stadt. Grossbauten wie Theater und Amphitheater sind meistens am Rande der Stadt angeordnet.

Die römischen Feldmesser bezeichneten die Achsen ihrer orthogonalen Felderteilung, der Centuriation, als „decumani“ und „cardi“, wobei die “decumani” diejenigen Achsen sind, die in Ost-West-Richtung verlaufen. Die Hauptachsen hiessen folglich “decumanus maximus” und“cardo maximus”. Für Stadtstrassen sind diese Bezeichnungen jedoch nicht überliefert.

Die von den Stadtstrassen begrenzten rechteckigen Felder werden heute oft als “insulae” bezeichnet, obwohl es keinen Hinweis darauf gibt, dass sie in römischer Zeit ebenfalls so genannt worden wären. Sie haben unterschiedliche Formate, sie reichen vom Quadrat bis zum langgestreckten Rechteck. Die rechteckigen Insulae können entweder parallel oder senkrecht zur Längsachse des Stadtgrundrisses, bzw. den Längsstrassen, angeordnet sein. Es ist heute schwer zu entscheiden, warum man jeweils eine bestimmte Teilung und eine bestimmte Aurichtung gewählt hat, denn die ursprünglich angestrebte, dem Plan zugrunde liegende Grösse der Bauparzellen ist meistens nicht bekannt. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Grundtücke ausserdem stark verändert, so dass heute bestenfalls nur noch das orthogonale Strassennetz der Städte erkennbar ist. In italienischen Städten hat sich das römische Strassennetz generell besser erhalten als in den von den Römern gegründeten Städten in Frankreich, England und Deutschland.

Rekonstruierter Stadtplan von Lucca (Quelle: Sommella, P. & C.F. Giuliani: La pianta di Lucca romana, Roma (1974).


Das Masssystem

In den römischen Stadtgrundrissen kehren bestimmte Masse häufig wieder: in der Regel sind diese durch 15 und 30 teilbar. Die zeigt, dass man bei der Planung Module von 15 oder 30 Fuss verwendet hat (1 Fuss = 0,2965 Meter). 15 Fuss sind in römischen Städten eine häufig vorkommende Strassenbreite. 15 Fuss entsprechen rund 4,50 Meter, also etwa einer Zimmerbreite, bzw. einer optimalen Holzbalkenlänge. Raumbreiten und –längen von 15 und 30 Fuss findet man auch in den Villen Palladios, zum Beispiel in der Rotonda in Vicenza. Die Korridore dieser Villa sind 6 Fuss, die Vorhallen 12 Fuss breit. Die zentrale Rundhalle der Villa hat einen Durchmesser von 30 Fuss. In anderen Gebäuden findet man auch Masse von 12, 18 und 24 Fuss. Man wählte also Masse, die durch 2, 3, 4, 5 und 6 teilbar sind.

Vitruv (2) spricht von einem Grundmass (modulus), dass der Gebäudeplanung zugrunde liegen sollte, damit die einzelnen Räume klare Proportionen erhalten. Dieses Grundmass muss nach ihm entsprechend seiner Teilbarkeit gewählt werden. Um möglichst viele Teilungen zu ermöglichen, muss man das 10er mit dem 12er System kombinieren. Masse von 12, 15, 18, 24, 30 Fuss erfüllen diese Forderung.

Hyginus (3), ein römischer Fachschriftsteller des 1. und 2. Jahunderts, nennt den Vorgang der Unterteilung eines Militärlagers “inceptatio metationis” und gibt an, dass diese Unterteilung auf einer Grundeinheit aufbaut, die sich aus der Grösse eines für acht Soldaten gedachten Zeltes ergibt. Für ein solches Zelt brauchte es eine Fläche von 12 x 12 Fuss (3,60 x 3,60 m). Der einem Militärlager zugrundeliegende Modul war somit 12 Fuss (3,60 m).

Hier noch ein paar theoretische Überlegungen zur Methode der Teilung eines orthogonalen Stadtgrundrisses: Generell kann man dabei additiv oder subtraktiv vorgehen. Additiv bedeutet, dass zunächst die Dimensionen der bebaubaren Flächen, der Insulae, und die Strassenbreiten festgelegt werden. Diese Elemente werden dann additiv aneinander gefügt: Insula – Strasse – Insula – Strasse usw. Wurden bei der Festlegung der Insulaseitenlängen und der Strassenbreiten Module oder Standardmasse benutzt, heisst da noch nicht, dass eine Insulaseite plus eine Strassenbreite wieder ein modulares Mass ergibt. Ein Beispiel: wenn eine Insulaseitenlänge 180 Fuss beträgt und eine normale Strasse 20 Fuss breit ist, dann ergibt aus der Addition beider Masse eine Länge von 200 Fuss. Während eine Insulalänge von 180 Fuss durch 30 und 15 Fuss teilbar ist, ist es das Gesamtmass von 200 Fuss (ca. 60 m) nicht.

Das subtraktive Verfahren besteht demgegenüber aus der Festlegung eines Grundrasters, sagen wir von 240 x 360 Fuss Seitenlänge, das über die Stadtfläche gelegt wird. In dieses Raster werden dann die Strassen eingezeichnet, dass heisst, von den Seitenlängen der Rechtecke des Grundrasters werden die Strassenbreiten abgezogen, so dass das was übrigbleibt, die Insulaseitenlänge bildet. Ziehen wir von den genannten Maschenweiten des genannten Grundrasters jeweils 20 Fuss für die Strassen ab, so erhalten die Insulae die Dimension von 220 x 340 Fuss.

Beide Vorgehensweisen sind bei der Anlage eines orthogonalen Grundrisses möglich, und sind auch heute noch bei der Planung von modular aufgebauten Bauwerken üblich. Man muss bei Beginn der Planung nur entscheiden, welche Methode im gegebenen Fall zweckmässiger ist. Wie bei der Einteilung römischer Stadtgrundrisse tatsächlich vorgegangen wurde, können nur genaue Massanalysen zeigen.

Das additive Verfahren empfiehlt sich, wenn bei der Planung standardisierte Grundelemente zu berücksichtigen sind, zum Beispiel Bauparzellen bestimmter Grösse. In diesem Fall ist die Grösse eines Baublockes, einer Insula, ein Mehrfaches einer Bauparzelle und bekommt somit modulare Aussenmasse. Die Strassenbreiten können in diesem Fall nach anderen Gesichtspunkten festgelegt werden, und es spielt keine Rolle, ob auch das sich ergebende Grundraster modulare Teilbarkeit besitzt. Sollte dies erwünscht sein und Vorteile bieten, so kann man immer noch Intervalle einfügen, welche die Modularität auch für das Grundraster herstellen.

Man kann also festhalten, dass bei der Anlage eines Bebauungplanes allgemein folgende Faktoren und Merkmale berücksichtigt wurden: die übliche Grösse von Bauparzellen sowie standardisierte Strassenbreiten.

Die Erstellung eines Bebauungsplanes ist nicht zuletzt auch eine Rechenaufgabe, weil am Schluss eine bestimmte Anzahl Baugrundstücke von bestimmter Grösse vorhanden sein muss. Auch dabei ist es praktisch und vorteilhaft, von rechteckigen Grundstücken auszugehen.

Die Teilung des orthogonalen Stadtgrundrisses soll nach Castagnoli (4), aus einem rechtwinkligen Achsenkreuz (bzw. aus der Kreuzung zweier Hauptstrassen) entstanden sein, das durch den Mittelpunkt des zu teilenden Areals gelegt wurde, und dieses in vier Regionen unterteilte, die anschliessend weiter unterteilt wurden.

Die Vermessung eines Areals mit der Anlage eines zentralen Achenkreuzes zu beginnen, entspricht allgemeiner Vermessungspraxis. Dass dies auch die römischen Vermesser so gemacht haben, zeigt sich an der Genauigkeit der eingehaltenen Planmasse. Was den Stadtgrundriss betrifft, findet man die Masse am genauesten im Bereich der Hauptachsen eingehalten, während sie immer ungenauer werden, je weiter man sich von der Stadtmitte entfernt. Die Messfehler lassen sich nicht aus aus dem Gebrauch der in römischer Zeit verwendeten Messinstrumente erklären. Der Visierfehler beim Gebrauch der “groma” beträgt maximal 5 Bogenminuten, das entspricht etwa einer Abweichung von 1,10 Meter auf eine Centurienlänge, d.h. auf 20 actus = 710,4 Meter) (5).

Das bedeutet, dass bei der Anlage der orthogonalen Stadtgrundrisse die Sekundärachsen nicht mit der “groma” eingemessen worden sind, sondern dass, ausgehend vom zentralen Achsenkreuz, die Abstände der einzelnen Vermessungslinien, mit der Stosslatte (pertica) oder mit dem Messtab (decempeda) abgetragen worden sind. Dieses Vorgehen kann, zumal in nicht ganz ebenem Gelände und wenn die Latten nicht ganz horizontal gehalten werden, zu beträchtlichen Messfehlern führen. Die Messungenauigkeiten in manchen römischen Stadtgrundrissen sind umso verwunderlicher, wenn man bedenkt, dass grossflächige Centuriationen äussert genau vermessen wurden und dass man mit den damals üblichen Messinstrumenten Stassen einen geraden Verlauf, oft über mehrere hundert Kilometer gegeben hat.

Abgesehen von wenigen Ausnahmen, lässt sich nicht erkennen, ob in gewissen Epochen und in gewissen Regionen des römischen Reiches bestimmte Teilungsmuster bevorzugt worden sind. Zu diesen Ausnahmen gehören die kleinen quadratischen Insulae von Timgad und Sabratha, die eben nur in Nordafrika vorkommen.

Anmerkungen
(1)   Vitruv, de architectura.  I, VI, 1
(2)   Vitruv, de architectura. IV, 1, 5
(3)   Hyginus gromaticus. De munitionibus castrorum. 45
(4)   Castagnoli, F.: Othogonal Town Planning, a.a.O., S. 124

(5)   Hotzel, P.: Die Centuriation, eine Form römischer Bodenordnung, Diss. TH-Darmstadt, Darmstadt (1972), S. 15ff.