Die Suche nach den Ursprüngen des römischen orthogonalen Städtebaus hat
Generationen von Forschern beschäftigt. Einige haben diesen Ursprung im
griechischen und hellenistischen Städtebau gesucht, andere in der Anlage des
römischen Militärlagers wie sie von Polybios und Hyginus beschrieben wird,
wieder andere bei den Etruskern und in den Gebräuchen, die von den Agrimensoren
beschrieben sind.
Griechische Vorbilder
Die ersten griechischen Kolonisatoren erreichten Italien
schon am Ende des 7. oder am Anfang des 8. Jahrhundert v.Chr. In den
darauffolgenden Jahrhunderten gründeten sie Kolonien in Sizilien und im Süden
der italischen Halbinsel. Mit diesen Siedlungen wurde die Grundlage für einen
intensiven Austausch materieller und geistiger Güter zwischen Griechenland und
den italischen Völkern geschaffen.
Ihre Kolonisationstätigkeit zwang die Griechen dazu, sich
intensiv mit den theoretischen und praktischen Problemen nicht nur des
Städtebaus, sondern generell mit der Organisation einer Stadt
auseinanderzusetzen, denn jede ihrer Städte war ein unabhängiger politischer
Organismus, der für sich in jeder Beziehung verantwortlich war. Die
Gründlichkeit, mit der sich die Griechen diesen Problemen angenommen haben, machte
sie zu Spezialisten auf dem Gebiet der Staatstheorie, des Städtebaus und der
Gesetzgebung. Die weniger entwickelten italischen Völker wandten sich deshalb
nicht selten an die Griechen und fragten sie um Rat gefragt, vor allem in
Fragen des Städtebaus und der Gesetzgebung.
Unsere Kenntnisse der griechischen Theorien reichen
leider nur bis ins 5. Jahrhundert v.Chr. und basieren vor allem auf den
Schriften von Platon und Aristoteles.
Die späteren Griechen schrieben die Erfindung des orthogonalen
Bebauungsplans dem Hippodamos von Milet zu, weshalb auch die griechischen
Bebauungspläne oft als “hippodamisch” bezeichnet werden.
Hippodamos, der wahrscheinlich am Ende des 6. Jahrhunderts v.Chr. in Milet
geboren wurde, war ein praktisch, wie theoretisch tätiger Städtebauer. Ihm wird
der Bau des Piraeus zugeschrieben, des im ersten Viertel des 5. Jahrhunderts
entstandenen Hafens von Athen. Möglicherweise war er auch an der Gründung von
Thurioi (444-443 v.Chr.), einer ionischen Kolonie in Süditalien, beteiligt (1).
Ungewiss ist, ob er schon am Wiederaufbau seiner, von den Persern im Jahre 479
zerstörten Heimatstadt Milet beteiligt war, die streng nach orthogonalem Schema
organisiert ist. Falsch ist die Annahme Strabons, er sei der Urheber des Plans
für Rhodos, weil diese Stadt erst um 408-407 v.Chr. gegründet worden ist (2).
Hippodamischer Stadtplan von Milet
Die Zeugnisse orthogonalen Städtebaus reichen jedoch an der ionischen Küste
Kleinasiens weit in die Zeit vor Hippodamos zuruck, der somit nicht dessen
Erfinder sein kann. Schon im 7. Jahrhundert v.Chr. wurde die Stadt Smyrna nach
einem Grossbrand nach orthogonalem Schema wiederaufgebaut, wovon einer Reihe
gerader, nord-süd-gerichteter Strassen bekannt sind (3). Auch der Wiederaufbau
Milets nach dem Perserkrieg erfolgte ohne direkte Beteilung von Hyppodamos, der
wahrscheinlich erst dadurch angeregt worden ist, sich theoretisch mit der
Stadtplanung auseinanderzusetzen. Hyppodamos ist also bei weitem nicht als
Erfinder des “hyppodamischen” Städtebaus anzusehen. Eher ist anzunehmen, dass
er über dieses Thema schrieb und ein Theorie dazu entwickelte.
Zu einer grossen Welle orthogonalen Städtebaus kam es, als die ionischen
Städte Kleinasiens begannen, im 7. und 6. Jahrhundert v.Chr. Kolonien in
Sizilien und Süditalien zu gründen. Zu diesen zählen: Megara Hyblea (gemäss der
Überlieferung 753 v.Chr., aber sicher später anzusetzen), Akragas (580 v.Chr.)
Metapontum und Selinus (beide sicher vor 500 v.Chr.), Neapolis (446 v.Chr.)
Heraklea (433-432 v.Chr.), Syrakus, Poseidonia (Paestum), Zancle (Messina),
Rhegion, usw.
Nicht nur die neuen Städte in Sizilien und Süditalien erhalten orthogonale
Grundrisse nach “hippodamischen” Muster, sondern auch die in Griechenland und
Kleinasien, so Olynthos (4) (432 v.Chr.), Rhodos (408-407 v.Chr.) Knidos und
Priene (beide um 360 v.Chr.).
Das Militärlager
Im antiken römischen Städtebau lassen sich gewisse
Beziehungen zur Anlage von Militärlagern erkennen. Leider ist diese Beziehung
von der modernen Forschung oft nur unter dem Aspekt der Ursprungs behandelt
worden. Viel Zeit hat man mit der Diskussion der Frage verloren, ob das Konzept
des orthogonalen römischen Bebaungsplans aus dem Plan der Militärlager
hervorgegangen sei, oder, umgekehrt, ob der Lagerplan aus dem orthogonalen
Städtebau enstanden sei. Diese Frage haben sich schon verschiedene antike Autoren
gestellt und der zweiten Hypothese den Vorzug gegeben. Polybios (5) vergleicht
die Anlage eines römischen Militarlägers mit derjenigen einer Stadt, und sagt:
“ Das ganze Lager bildet ein gleichseitiges Rechteck (Quadrat); in seinen
Einzelheiten gleicht es einer Stadt, vor allem wegen der Anlage der Strassen”.
Auch Livius (6) drückt sich in ähnlicher Form aus, denn
auch er meint, dass das Lager eher einer Stadt gleiche als umgekehrt.
Ein
oberflächlicher Betrachter, der die römischen Stadtpläne von Aosta und Torino
sieht, könnte daraus schliessen, dass diese nichts anderes seien als eine
Anpassung des Militärlagers an zivile Bedürfnisse (7), aber diese Ähnlichkeit
täuscht, und heute hat sich mehr oder weniger die Auffassung durchgesetzt, dass
die Erfahrungen mit dem zivilen Städtebau das römische Militäringenieurwesen
nicht wenig beeinflusst haben.
Das, was das römische Militärlager, wie es von Polybios und Hyginus
beschrieben wird, und die orthonal angelegten Städte der Römer verbindet, ist
die Rechtwinkligkeit ihrer inneren Aufteilung. Man kann auch noch die vier Tore
und die Kreuzung der zwei Hauptstrassen hinzufügen, aber das ist schon
alles.
Schon das Raster, welches das Militärlager unterteilt,
ist völlig verschieden von dem der Städte, schon aus dem einfachen Grund, weil
die Bedürfnisse beiden Fällen sehr verschieden waren. Ein Militärlager wird
entsprechend der verschiedenen Truppenteile unterteilt, für die es gedacht ist,
während ein Stadtareal im Hinblick auf den Bau von Privathäusern, öffentlichen
Gebäuden und Plätzen aufgeteilt wird.
Schematischer
Plan eines römischen Militärlagers (nach Polybios)
Wenn man den antiken Quellen folgt, so ist der
orthogonale Stadtgrundriss älter als der Militärlagerplan. Nach Frontin (8),
haben die Römer mit der systematischen und rechtwinkligen Anlage ihrer
Militärlager erst begonnen, nachdem sie das im Jahre 275 v.u.Z. von ihnen
eingenommene Lager des Pyrrhus kennengelernt hatten. Zu dieser Zeit hatten aber
bereits Norba (342 v.Chr.), Alba Fucens (303 v.Chr.) uns Ostia (um 325 v.Chr.)
orthogonale Grundrisse erhalten. Aus diesem Grund erscheint die Hypothese vom
Hervorgehen des orthogonalen Stadtplans aus dem Militärlagerplan wenig
überzeugend.
Unzweifelhaft besteht ein Zusammenhang zwischen römischen
Städtebau und römischen Militäringenieurwesen, schon allein aus dem Grund, weil
es keinen Unterschied zwischen Zivil- und Militäringenieuren gab. Es gab keine
Spezialisierung wie heute, und der Ingenieur und der Architekt mussten beide in
der Lage sein, sowohl zivile als militärische Bauwerke zu planen. Auf diese
Weise haben sich die Erfahrungen auf beiden Gebieten durchdrungen, und diese
Vereinigung der Kenntnisse im gleichen Personenkreis hat sicher nicht
unwesentlich die Entwicklung auf beiden Gebieten gefördert. Ausserdem ist
anzunehmen, dass die römischen Ingenieure und Architekten, oder allgemeiner
gesprochen, die technisch gebildeten Personen, die wir heute so bezeichnen
würden, auch die städtebaulichen Konzepte der Griechen kannten.
Die etruskische Disziplin
Verschiedene antike Autoren berichten vom etruskischen
Ritual der Stadtgründung. Die Etrusker galten als Spezialisten auf diesem
Gebiet. Das Ritual bestand, ausser gewissen religiösen Zeremonien und der
Bestimmung eines glückverheissenden Tages, in der Begrenzung des Stadtareals
durch eine Furche, die mit einem bronzenen Pflug gezogen wurde, vor dem ein
Stier und eine Kuh gespannt waren. Dabei musste die Scholle nach innen fallen,
so dass sie symbolisch die Stadtmauer darstellte und die Furche den vor ihr
liegenden Graben. An den Stellen, an denen die Tore vorgesehen waren, wurde der
Pflug angehoben und damit die Furche unterbrochen. Dieser primigenius sulcus galt als heilig, wie alle Grenzen bei den
Etruskern, und bezeichnete den Ort an dem die Auspizien der Stadt endeten.
Unterteilung
des Himmels gemäss der Disciplina etrusca
Schon zur Zeit Plutarch (46/48-125/127 n.Chr.) war die
ursprüngliche Bedeutung vieler etruskischer Riten und Gebräuche nicht mehr ganz
klar, und viele Elemente der etruskischen Tradition wurden miteinander
vermischt, aber auch wegen ihres ehrwürden Alters respektiert.
In Etrurien aufgefundene Grenzsteine bestätigen die
Angaben der antiken Schriftsteller, nach denen die Grenzen bei den Etruskern
besondere Heiligkeit besassen und, dass derjenige, der sie verletzte, den Zorn
der Götter zu fürchten hatte. Grenzen mit Verwünschungen zu schützen ist eine
sehr verständliche Sache, wenn man bedenkt, dass es in den alten Gesellschaften
keine genauen Katasterkarten gab und es deshalb leicht war, die Grenzen zu
verschieben.
Die Etrusker haben bei der Gründung ihrer Kolonialstädte
ebenfalls orthogonale Grundrisse benutzt. Zu diesen Kolonien gehören Atria,
Spina und Marzabotto. Spina war im 5. Jahrhundert v.Chr. der grösste Hafen an
der Adria und war in lebhafter wirtschaftlicher Verbindung mit Griechenland.
Auf den Luftaufnahmen ist seine orthogonale Anlage gut erkennbar. Das
bekannteste Beipiel ist jedoch Marzabotto im Renotal, 25 km südlich von
Bologna.
Die Landvermessung
Bezüglich der römischen Stadtplanung haben auch die
Bücher der römischen Agrimensoren viel Verwirrung verursacht, in denen diese die
Flurvermessung und Flurteilung behandeln. Diese Schriften, von denen die
ältesten vom Ende des 1. Jahrhundert u.Z. stammen, enthalten technische Regeln
zur Landvermessung und Auszüge aus dem römischen Bodenrecht. Die Agrimensoren
führten ihre Kunst gern auf die Etrusker zurück, manche auch auf die alten
Agypter, hauptsächlich um auf deren hohes Alter hinzuweisen. Es ist anzunehmen,
dass dies auch die Absicht Frontins war, wenn er Varro zitiert, der den
Ursprung der Landvermessung auf die etruskische Disziplin zurückführt, nach
der, zur Beobachtung des Vogelfluges, ein Bezirk abgegrenzt und nach den
Himmelsrichtungen unterteilt wurde, den die Römern “templum”, nannten.
Die Instrumente, mit denen man in römischer Zeit
Flurgrenzen und andere gerade Linien im Gelände festlegte waren die groma, der Messtab und die Messlatte.
Die groma war ein Instrument, das die
gleiche Funktion wie die Kreuzscheibe hatte, die noch vor einem halben
Jahrhundert von unseren Geometern benutzt wurde. Mit ihr konnte man gerade,
sich rechtwinklig kreuzende Linien im Gelände ausfluchten. Der Name des
Instruments ist die etruskische Form des griechischen gnomon, des Schattenstabs mit dem man die Mittagslinie bestimmte..
Wahrscheinlich wurde das Instrument in Italien bekannt und ist sein Name in die
etruskische Sprache eingedrungen, als die Etrusker im 6. Jahrhundert v.u.Z.
begannen Kampanien zu kolonisieren und dabei in direkten Kontakt zur
griechischen Welt traten.
Anmerkungen
(1) Die Gründung von Thurioi war eine gesamtgriechische Unternehmung unter
Führung Athens. Diodor (XII 10) berichtet einige Details dieser Gründung, so
von der rituellen Befragung eines Orakels, von der Auffindung einer Quelle, der
Errichtung der Stadtmauern, der Anlage breiter Hauptstrassen (plateiai) und
schliesslich vom Bau der Häuser, die durch Nebenstrassen (stenopoi) erschlossen
waren.
(2)
Ward Perkins, J.:
Cities …., op. cit., S. 11; sowie: Castagnoli, F.: Othogonal Town Planning, op.
cit., S. 66-72
(3)
Ward Perkins, J.:
Cities …., op. cit., S. 16
(4) Olynthos, eine alte Hügelstadt auf der thrakischen Chalkidike, erhielt im
Jahre 432 v.Chr. als Erweiterung ein nach orthogonalem Muster angelegtes
Quartier
(5) Polybios, VI 31, 10
(6) Livius XLIV 39
(7) Ward Perkins, J.B.: The Early development of Roman
Town Planning. Acta
Congressus Madvigiani Hafniae MDMLIV, vol. 4, Copenhagen 1958, p. 119
(8) Frontin,
Strategemata IV 1, 14
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