Der Zweck eines Bebauungsplanes ist es, Strassen und Plätze sowie
Baugrundstücke für öffentliche und private Bauten auszuscheiden. Im
Bebauungsplan wird also die Einteilung des Stadtareals festgelegt. Bei Vitruv
(1) heisst es dazu: “Nach der
Anlage der Ringmauer folgt innerhalb der Stadtmauer die Einteilung des
Baugeländes und die Ausrichtung der Haupt- und Nebenstrassen nach den
Himmelsrichtung”. Leider gibt Vitruv keinerlei Kriterien dafür an, wie dies
zu machen sei.
Wenn wir Einzelheiten über die Einteilung römischer Stadtgrundrisse
erfahren wollen, müssen wir diese im einzelnen betrachten. Man kann jedoch davon
ausgehen, dass man bei der Anlage von Stadtgrundrissen auch in römischer Zeit
von bestimmten Baugrundstückgrössen und Strassenbreiten ausging. Über die
üblichen Grundstückgrössen und Strassenbreiten finden wir bei Vitruv und
anderen Autoren keine Angaben. Wir können sie deshalb nur aus den
archäologischen Befunden ableiten.
Der ideale Stadtgrundriss
Die ideale Form einer geplanten römischen Stadt, ist die eines von den
Stadtmauern eingefassten Rechtecks, das durch ein Strassenkreuz in vier Regionen
geteilt ist. Diese Hauptstrassen führen durch die vier Stadttore, von denen jedes
auf einer Rechteckseite liegt, und setzen sich jenseits dieser Tore im Umland
fort. Die vier Regionen sind nochmals durch Nebenstrassen unterteilt, die
parallel zu den Hauptstrassen verlaufen. In der Mitte der Stadt, dort wo sich
die beiden Hauptstrassen kreuzen, liegen das Forum und der Haupttempel der
Stadt. Grossbauten wie Theater und Amphitheater sind meistens am Rande der
Stadt angeordnet.
Die römischen Feldmesser bezeichneten die Achsen ihrer orthogonalen
Felderteilung, der Centuriation, als „decumani“ und „cardi“, wobei die
“decumani” diejenigen Achsen sind, die in Ost-West-Richtung verlaufen. Die Hauptachsen
hiessen folglich “decumanus maximus” und“cardo maximus”. Für Stadtstrassen sind
diese Bezeichnungen jedoch nicht überliefert.
Die von den Stadtstrassen begrenzten rechteckigen Felder werden heute oft als “insulae” bezeichnet, obwohl es keinen Hinweis darauf
gibt, dass sie in römischer Zeit ebenfalls so genannt worden wären. Sie haben unterschiedliche Formate, sie reichen vom Quadrat bis zum langgestreckten Rechteck. Die rechteckigen
Insulae können entweder parallel oder senkrecht zur Längsachse des
Stadtgrundrisses, bzw. den Längsstrassen, angeordnet sein. Es ist heute schwer zu entscheiden, warum man jeweils
eine bestimmte Teilung und eine bestimmte Aurichtung gewählt hat, denn die
ursprünglich angestrebte, dem Plan zugrunde liegende Grösse der Bauparzellen ist
meistens nicht bekannt. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Grundtücke ausserdem
stark verändert, so dass heute bestenfalls nur noch das orthogonale
Strassennetz der Städte erkennbar ist. In italienischen Städten hat sich das
römische Strassennetz generell besser erhalten als in den von den Römern
gegründeten Städten in Frankreich, England und Deutschland.
Rekonstruierter Stadtplan von Lucca (Quelle:
Sommella,
P. & C.F. Giuliani: La pianta di Lucca romana, Roma (1974).
Das Masssystem
In den römischen Stadtgrundrissen kehren bestimmte Masse häufig wieder: in
der Regel sind diese durch 15 und 30 teilbar. Die zeigt, dass man bei der Planung
Module von 15 oder 30 Fuss verwendet hat (1 Fuss = 0,2965 Meter). 15 Fuss sind
in römischen Städten eine häufig vorkommende Strassenbreite. 15 Fuss
entsprechen rund 4,50 Meter, also etwa einer Zimmerbreite, bzw. einer optimalen
Holzbalkenlänge. Raumbreiten und –längen von 15 und 30 Fuss findet man auch in
den Villen Palladios, zum Beispiel in der Rotonda in Vicenza. Die Korridore
dieser Villa sind 6 Fuss, die Vorhallen 12 Fuss breit. Die zentrale Rundhalle der
Villa hat einen Durchmesser von 30 Fuss. In anderen Gebäuden findet man auch
Masse von 12, 18 und 24 Fuss. Man wählte also Masse, die durch 2, 3, 4, 5 und 6
teilbar sind.
Vitruv (2) spricht von einem Grundmass (modulus),
dass der Gebäudeplanung zugrunde liegen sollte, damit die einzelnen Räume klare
Proportionen erhalten. Dieses Grundmass muss nach ihm entsprechend seiner
Teilbarkeit gewählt werden. Um möglichst viele Teilungen zu ermöglichen, muss
man das 10er mit dem 12er System kombinieren. Masse von 12, 15, 18, 24, 30 Fuss
erfüllen diese Forderung.
Hyginus (3), ein römischer Fachschriftsteller des 1. und 2. Jahunderts, nennt den Vorgang der Unterteilung eines Militärlagers “inceptatio metationis” und gibt an, dass
diese Unterteilung auf einer Grundeinheit aufbaut, die sich aus der Grösse
eines für acht Soldaten gedachten Zeltes ergibt. Für ein solches Zelt brauchte
es eine Fläche von 12 x 12 Fuss (3,60 x 3,60 m). Der einem Militärlager
zugrundeliegende Modul war somit 12 Fuss (3,60 m).
Hier noch ein paar theoretische Überlegungen zur Methode
der Teilung eines orthogonalen Stadtgrundrisses: Generell kann man dabei
additiv oder subtraktiv vorgehen. Additiv bedeutet, dass zunächst die
Dimensionen der bebaubaren Flächen, der Insulae, und die Strassenbreiten
festgelegt werden. Diese Elemente werden dann additiv aneinander gefügt: Insula
– Strasse – Insula – Strasse usw. Wurden bei der Festlegung der
Insulaseitenlängen und der Strassenbreiten Module oder Standardmasse benutzt,
heisst da noch nicht, dass eine Insulaseite plus eine Strassenbreite wieder ein
modulares Mass ergibt. Ein Beispiel: wenn eine Insulaseitenlänge 180 Fuss beträgt
und eine normale Strasse 20 Fuss breit ist, dann ergibt aus der Addition beider
Masse eine Länge von 200 Fuss. Während eine Insulalänge von 180 Fuss durch 30
und 15 Fuss teilbar ist, ist es das Gesamtmass von 200 Fuss (ca. 60 m) nicht.
Das subtraktive Verfahren besteht demgegenüber aus der
Festlegung eines Grundrasters, sagen wir von 240 x 360 Fuss Seitenlänge, das
über die Stadtfläche gelegt wird. In dieses Raster werden dann die Strassen
eingezeichnet, dass heisst, von den Seitenlängen der Rechtecke des Grundrasters
werden die Strassenbreiten abgezogen, so dass das was übrigbleibt, die
Insulaseitenlänge bildet. Ziehen wir von den genannten Maschenweiten des
genannten Grundrasters jeweils 20 Fuss für die Strassen ab, so erhalten die
Insulae die Dimension von 220 x 340 Fuss.
Beide Vorgehensweisen sind bei der Anlage eines
orthogonalen Grundrisses möglich, und sind auch heute noch bei der Planung von
modular aufgebauten Bauwerken üblich. Man muss bei Beginn der Planung nur
entscheiden, welche Methode im gegebenen Fall zweckmässiger ist. Wie bei der
Einteilung römischer Stadtgrundrisse tatsächlich vorgegangen wurde, können nur
genaue Massanalysen zeigen.
Das additive Verfahren empfiehlt sich, wenn bei der
Planung standardisierte Grundelemente zu berücksichtigen sind, zum Beispiel
Bauparzellen bestimmter Grösse. In diesem Fall ist die Grösse eines Baublockes,
einer Insula, ein Mehrfaches einer Bauparzelle und bekommt somit modulare
Aussenmasse. Die Strassenbreiten können in diesem Fall nach anderen
Gesichtspunkten festgelegt werden, und es spielt keine Rolle, ob auch das sich
ergebende Grundraster modulare Teilbarkeit besitzt. Sollte dies erwünscht sein
und Vorteile bieten, so kann man immer noch Intervalle einfügen, welche die
Modularität auch für das Grundraster herstellen.
Man kann also festhalten, dass bei der Anlage eines
Bebauungplanes allgemein folgende Faktoren und Merkmale berücksichtigt wurden: die
übliche Grösse von Bauparzellen sowie standardisierte Strassenbreiten.
Die Erstellung eines Bebauungsplanes ist nicht zuletzt auch
eine Rechenaufgabe, weil am Schluss eine bestimmte Anzahl Baugrundstücke von
bestimmter Grösse vorhanden sein muss. Auch dabei ist es praktisch und
vorteilhaft, von rechteckigen Grundstücken auszugehen.
Die Teilung des orthogonalen Stadtgrundrisses soll nach
Castagnoli (4), aus einem rechtwinkligen Achsenkreuz (bzw. aus der Kreuzung
zweier Hauptstrassen) entstanden sein, das durch den Mittelpunkt des zu
teilenden Areals gelegt wurde, und dieses in vier Regionen unterteilte, die
anschliessend weiter unterteilt wurden.
Die Vermessung eines Areals mit der Anlage eines
zentralen Achenkreuzes zu beginnen, entspricht allgemeiner Vermessungspraxis.
Dass dies auch die römischen Vermesser so gemacht haben, zeigt sich an der
Genauigkeit der eingehaltenen Planmasse. Was den Stadtgrundriss betrifft, findet
man die Masse am genauesten im Bereich der Hauptachsen eingehalten, während sie
immer ungenauer werden, je weiter man sich von der Stadtmitte entfernt. Die
Messfehler lassen sich nicht aus aus dem Gebrauch der in römischer Zeit
verwendeten Messinstrumente erklären. Der Visierfehler beim Gebrauch der “groma” beträgt maximal 5 Bogenminuten,
das entspricht etwa einer Abweichung von 1,10 Meter auf eine Centurienlänge,
d.h. auf 20 actus = 710,4 Meter) (5).
Das bedeutet, dass bei der Anlage der orthogonalen
Stadtgrundrisse die Sekundärachsen nicht mit der “groma” eingemessen worden
sind, sondern dass, ausgehend vom zentralen Achsenkreuz, die Abstände der
einzelnen Vermessungslinien, mit der Stosslatte (pertica) oder mit dem Messtab
(decempeda) abgetragen worden sind. Dieses Vorgehen kann, zumal in nicht ganz
ebenem Gelände und wenn die Latten nicht ganz horizontal gehalten werden, zu
beträchtlichen Messfehlern führen. Die Messungenauigkeiten in manchen römischen
Stadtgrundrissen sind umso verwunderlicher, wenn man bedenkt, dass
grossflächige Centuriationen äussert genau vermessen wurden und dass man mit
den damals üblichen Messinstrumenten Stassen einen geraden Verlauf, oft über
mehrere hundert Kilometer gegeben hat.
Abgesehen von wenigen Ausnahmen, lässt sich nicht
erkennen, ob in gewissen Epochen und in gewissen Regionen des römischen Reiches
bestimmte Teilungsmuster bevorzugt worden sind. Zu diesen Ausnahmen gehören die
kleinen quadratischen Insulae von Timgad und Sabratha, die eben nur in
Nordafrika vorkommen.
Anmerkungen
(1)
Vitruv, de architectura.
I, VI, 1
(2)
Vitruv, de architectura. IV, 1, 5
(3)
Hyginus gromaticus. De munitionibus castrorum. 45
(4)
Castagnoli, F.: Othogonal Town Planning, a.a.O., S.
124
(5)
Hotzel, P.: Die Centuriation, eine Form römischer
Bodenordnung, Diss. TH-Darmstadt, Darmstadt (1972), S. 15ff.
Herr Wienke, die Artikel sind wunderbar, so instruktiv und gut recherchiert! Ich bin gerade auf Ihre Texte zur Ausrichtung, Stadtgrundriss und Klima der römischen Städte gestossen. Haben Sie Ihre Text auch schon veröffentlicht in Druck? Ich wäre sehr interessiert daran. Viele Grüsse, Claudia Zipfel
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