martedì 25 agosto 2015

Die Ausrichtung der römischen Stadtgrundrisse

Die Ausrichtung der römischen Stadtgrundrisse war lange Zeit Gegenstand von wilden Spekulationen und Diskussionen. Eine der ersten Hypothesen war diejenige, dass die Liniennetze der Städte, wie auch die der Centuriationen, aus religiösen Gründen genau nach den Haupthimmelsrichtungen ausgerichtet worden seien. Diese Hypothese stützte sich auf einer Beobachtung Pigorinis (1), der am Anfang des 20. Jahrhunderts diese Ausrichtung bei den Terramare-Siedlungen beobachtet haben wollte. Vierzig Jahre später widerlegte Saeflund (2) diese HYpothese. Auch die Interpretation der etruskischen Ritualbücher durch Thulin (3) und der Bericht von der legendären “urbs quadrata” Roms  sowie einige Stellen in den Schriften der römischen Feldmesser galten als Belege für die astronomische Ausrichtung römischer Städte.

Man glaubte, die Orientierung nach den Haupthimmelsrichtungen sei eine von den Etruskern übernommene Grundregel der römischen Stadtplanung gewesen. Der Grundriss der etruskischen Kolonie Misa (Marzabotto) schien dies zu bestätigen. Aber schon bald erkannte man (4), dass die Orientierung der Stadtgrundrisse auf die astronomischen Kardinalpunkte eine Ausnahme bildet, man hielt es aber für möglich, dass in gewissen Fällen eine solche angestrebt worden sei. Zu einem ähnlichen Schluss gelangte man bezüglich der Centuriationen, “die nicht die geringste Rücksicht auf die Lage der Himmelsgegenden (zeigen), sondern sich nur nach praktischen Gesichtspunkten orientieren” (5).

Bis heute hat sich verschiedentlich die Auffassung erhalten, dass der Himmelsrichtung bei der Orientierung von Städten und Centuriationen doch eine gewisse Bedeutung zukommt. Diese Auffassung stützt sich auf die Angabe der römischen Feldmesser (6), dass der “decumanus” einer Limitation in Ost-West-Richtung zu verlaufen habe, wobei die Ostrichtung nach dem Punkt des Sonnenaufgangs am ersten Vermessungstag zu bestimmen sei (7). Hieraus und aus der Tatsache, dass die römischen Kolonien häufig ihren Geburtstag feierten, folgerte Laur-Belart (8), dass die römische Kolonie Augusta Raurica bei Basel am 21. Juni des Jahres 44 v.u.Z. gegründet worden sei, denn ihr “decumanus” weist auf den Punkt, an dem die Sonne am längsten Tag des Jahres aufgeht.

Hätten die römischen Mensoren die Strassen- und Limitationsnetze nach den Haupthimmelsrichtungen orientieren wollen, so hätten sie das ohne weiteres gekonnt. Ein Verfahren dazu beschreibt Vitruv (9) ganz genau:

Man lege in der Mitte der Stadt eine marmorne glatte Scheibe wagrecht hin oder mache nach Richtscheit und Wasserwaage eine Stelle so glatt, dass eine glatte Scheibe nicht erforderlich ist, und im Mittelpunkt dieser Scheibe stelle man einen bronzenen Stab (gnomon) senkrecht auf. Ungefähr um die fünfte Vormittagsstunde ist der äusserste Punkt des Schattens dieses Stabes festzustellen und zu markieren. Dann muss man, nach dem der Zirkel (vom Mittelpunkt der Scheibe) bis zum Punkt, der die Schattenlänge des Stabes markiert, auseinandergezogen ist (mit dieser Entfernung als Radius) um den Mittelpunkt einen Kreis schlagen. Ebenso muss der nachmittäglich wachsende Schatten dieses Gnomons beobachtet werden, und, wenn er die Kreislinie berührt und einen nachmittäglichen Schatten wirft, der gleich lang ist, wie der vormittägliche, muss (das Schattenende) markiert werden. Von diesen beiden Punkten muss mit dem Zirkel ein kreuzweiser Durchschnitt beschrieben und durch den Durchschnitt der Kreisbögen und dem Kreismittelpunkt eine Linie gezogen werden bis zum äussersten, damit man die Mittagslinie (Südrichtung) und die Nordrichtung bekommt”.

Auch wenn das von Vitruv beschriebene geometrische Verfahren zur Festlegung der Nord-Süd-Richtung bekannt war, scheint es einfacher und praktischer gewesen zu sein, die Ostrichtung nach dem Ort des Sonnenaufgangs zu bestimmen. Diese letztere Methode ist auch zur Ostung von christlichen Kirchen benutzt worden. Ich selbst habe festgestellt, dass die Längsachsen verschiedener Kirchen in Umbrien so orientiert sind, dass sie auf den Punkt des Sonnenaufgangs am Tag des Stadt- oder Kirchenpatrons zeigen. Darin mag sich ein alter, aus römischer, wenn nicht schon aus etruskischer Zeit stammender Gebrauch erhalten haben.

Wie es tatsächlich mit der Orientierung römischer Bebauungspläne bestellt ist, so habe ich 44 dieser nach Regionen gegliederten Stadtgrundrisse untersucht mit dem Ergebnis, dass so gut wie alle denkbaren Orientierungen vorkommen.

Eine geringe Abweichung (1-5°) von der Nord-Süd-Richtung haben die Grundrisse von Florenz, Lucca, Marzabotto, Brescia, Colchester, Köln, Narbona, Silchester und Timgad. Bei solchen geringen Abweichungen könnte man annehmen, dass eine Nordung des Stadtgrundrisses angestrebt war, man muss aber auch noch andere Elemente in Betracht ziehen. So entwickeln sich das römische Florenz und das römische Köln etwa parallel zu den Flüssen, an denen sie liegen, bei anderen Städten, gab die Überlandstrasse die Richtung an, wie zum Beispiel bei Imola, das an einem geraden Stück der Via Aemilia liegt, die durch die Stadt hindurchführte.

Was die Ausrichtung der Stadtgrundrisse betrifft, so kann man davon ausgehen, dass dabei auch Faktoren wie die Besonnungs- und Klimaverhältnisse, die topographische Beschaffenheit des Ortes sowie der Verlauf von bestehenden Überlandstrassen und Flussläufen eine Rolle gespielt haben.

Ausrichtung nach den Winden

Vitruv (10) nennt als Kriterium für die Ausrichtung der Stadtstrassen die Windrichtung. Ihm ist viel an der Gesundheit der Stadtbewohner gelegen und so schreibt er, dass die Strassen dann richtig ausgerichtet sind, “wenn aus (ihnen) auf kluge Weise die Winde ausgeschlossen werden. Wenn diese (Winde) kalt sind, tun sie weh, wenn sie warm sind, lassen sie kränkeln, wenn sie feucht sind, schaden sie (der Gesundheit)”. Um die negativen Auswirkungen der Winde auf die Gesundheit auszuschliessen oder doch zu mildern, müssen die Stadtstrassen so ausgerichtet sein, dass den Hauptwinden kein freier Durchzug gewährt wird….. Wenn nämlich die Hauptstrassen in Richtung auf die Hauptwinde angelegt sind, dann wird der Sturm und das häufige Wehen der Winde vom offenen Himmel her, in den Engen der Nebenstrassen ziusammengedrängt, mit grösserer Kraft hindurchziehen. Deshalb müssen die Richtungen der Häuserreihen von den Windrichtungen abgewendet sein, damit (die Winde), wenn sie auf die Ecken der Häuserblöcke stossen, gebrochen werden und zurückprallend sich zerstreuen” .

Die Windrose Vitruvs mit eingezeichntem Stadtstrassenraster


Das von Vitruv beschriebene Verfahren zur Ausschliessung lästiger Winde mutet sehr theoretisch an. Es handelt sich um die geometrische Konstruktion einer achtteiligen Windrose, in die der Stadtplan unter einem bestimmten Winkel eingezeichnet wird. Die Windrose konnte bestenfalls dazu dienen, die Himmelsrichtungen festzulegen, um dann die vorherrschenden Windrichtungen an einem Ort zu ermitteln. Noch einfacher wäre es gewesen, Ortsansässige zu fragen, denn diese wissen am Besten, aus welcher Richtung die lästigsten Winde wehen.

Nach Vitruvs Verfahren mit der achteckigen Windrose erhalten die Strassen eine um 22,5° von der Nord-Süd-Achse abweichende Orientierung, d.h. eine Ausrichtung gegen NNO-SSW oder NWW-SSO. Die Fernhaltung lästiger Winde aus dem Stadtraum ist sicher ein wichtiger Gesichtspunkt, aber auch dessen gute Durchlüftung ist wichtig. 


Ausrichtung nach der Sonne

Ein wichtiges Kriterium für die Ausrichtung von Wohnräumen  ist die Besonnung. Vitruv behandelt diese Ausrichtung im Zusammenhang mit den verschiedenen Arten von Bauwerken aber nicht im Zusammhang mit der Anlage des städtischen Strassennetzes.

Die Orientierung von Gebäuden nach der Sonne hat den Zweck, diesen im Winter möglichst viele wärmende Sonnenstrahlen zu verschaffen und im Sommer übermässige Erhitzung zu vermeiden. In diesem Sinne hat sich in europäischen Breiten die Südorientierung der Gebäude schon immer als die günstigste erwiesen, sofern im Sommer schattenspendende Elemente eine direkte Sonneneinstrahlung in die Gebäude und somit ihre Überhitzung verhindern. Das wussten auch die antiken Architekten und haben vielfach danach handelt.

Gaetano Vinaccia, ein italienischer Autor des letzten Jahrhunderts (11), will festgestellt haben, dass die Ausrichtung der Strassennetze vieler italienischer Städte römischen Ursprungs um etwa 30° von der Nord-Süd-Richtung abweichen und hat daraus gefolgert, dass sie unter Berücksichtigung der in Italien üblichen Besonnungsverhältnisse angelegt worden sind. Vinaccia zufolge, sollten in Italien die Strassen nicht nach den Haupthimmelsrichtungen ausgerichtet sein, sondern, um eine zweckmässige Besonnung zu erreichen, eher gegen NO-SW oder NW-SO. Er kommt zum Schluss, dass die “von den Römern festgestellten heliothermischen Zusammenhänge …. die gleichen (sind), die wir heute aufgrund genauer Berechnungen gewinnen”.

Die Zweckmässigkeit einer Abweichung von etwa 30° von der Nord-Südachse ist nun keinesfalls bewiesen, wie Vinaccia meint. Um optimale Wärmegewinne zu erzielen ist eine allgemeine Südorientierung in jedem Fall zu bevorzugen, wobei eine maximale Abweichung von 30° tolerierbar ist. Die grossen römischen Thermen Roms sind alle nach Südwesten ausgerichtet, und zwar weil die Hauptbadezeit damals der frühe Nachmittag war.

Viel wichtiger als die Ausrichtung der Strassen ist die Ausrichtung der Wohnräume zur Sonne. Vitruv (12) widmet dieser Ausrichtung ein ganzes Kapitel seines Werkes. 

„Winterspeisezimmer und Bäder sollten gegen Süd-Süd-West gerichtet sein, weil man so das Abendlicht ausnützt und auch weil die Abendsonne Wärme ausstrahlt und diese Räume erwärmt. Schlafzimmer und Bibliotheken müssen gegen Osten gerichtet sein, denn ihre Benutzung erfordert die Morgensonne, und ausserdem modern in den Bibliotheken die Bücher nicht. In Räumen nämlich, die nach Süden und Westen ausgerichtet sind, werden die Bücher von Bücherwurm und Feuchtigkeit beschädigt, denn die von dort kommenden feuchten Winde bringen Bücherwürmer hervor, begünstigen deren Fortpflanzung und rufen durch ihre Feuchtigkeit Schimmel hervor, der die Bücher verdirbt. Die Frühlings- und Herbstspeisezimmer müssen nach Osten sehen. Denn, dem Licht ausgesetzt, werden sie von der aufgehenden, nach Westen fortschreitenden  Sonne, erwärmt, so dass sie zu der Zeit, zu der man sie gewöhnlich benutzt, mässig warm sind. Sommerspeisezimmer sind nach Norden auszurichten, weil diese Ausrichtung nicht wie die übrigen zur Zeit der Sonnenwende nicht glühend heiss wird; denn, der Sonne abgewandt, ist sie immer kühl und garantiert während Benutzung Gesundheit und Annehmlichkeit. Nach Norden sind auch die Pinakotheken, die Werkstätten der Brokatweber und die Ateliers der Maler auszurichten, damit die Farben dank des immer gleichmässigen Lichtes ihre Qualität nicht verlieren“.

Um die Ausrichtung der Speisezimmer zu verstehen, muss man wissen, dass die Römer ihre Hauptmahlzeit, die cena, am späten Nachmittag einnahmen, nachdem sie vorher die Thermen besucht hatten. Die anderen zwei Mahlzeiten, das Frühstück  (jentaculum) und das Mittagessen (prandium) waren einfache Imbisse, die meistens in Eile eingenommen wurden. Ausserdem ist zu berücksichtigen, dass sich Vitruvs Empfehlungen auf Häuser beziehen, die maximal zwei Geschosse hatten und deren Besonnung kein grosses Problem war.

Berücksichtigung topographischer Faktoren

Dass man eine Stadt mit Rücksicht auf die örtliche Topographie ins Gelände legt, ist eigentlich das natürlichste. Um die unerlässliche Befestigung der Orte zu erleichern, wählte man früher möglichst Gelände mit steilen, schwer erklimmbaren Rändern an denen die Befestigungswerke errichtet wurden. Die zweckmässigste Ausrichtung der Strassen war dann die, die sich besten in das von den Mauern begrenzte Gelände einfügen lies. Dieser Gesichtspunkt wird von Vitruv nicht erwähnt, wahrscheinlich, weil dieses Vorgehen überhaupt das übliche und bequemste war und deshalb die von Vitruv für wichtig gehaltenen Aspekte oft zu kurz kamen.

Will man etwas über den Einfluss der örtlichen Topographie auf die Ausrichtung der römischen Stadtgrundrisse erfahren, muss man schon die jeweilige Situation genau anschauen. In Augusta Raurica hat man bei der Ausrichtung der Strassen ganz eindeutig auf das Gelände Rücksicht genommen. Die Nord-Süd-Strassen weichen von der geographischen Nord-Süd-Achse um etwa 37° gegen Westen ab, denn sie verlaufen rechtwinkling zum Hügelfuss im Süden und parallel zu den Flanken des ins Rheintal vorgeschobenen Geländeschildes. Diese Ausrichtung erlaubte es, immerhin drei Nord-Süd-Strassen un voller Länge durch das Gelände zu ziehen. Das diese Ausrichtung die vorteilhafteste im gegebenen Gelände ist, beweisen vier Wege östlich der römischen Stadt, welche etwa die gleiche Ausrichtung haben, jedoch das Ergebnis einer modernen Landumlegung sind. Man sieht also, dass die heutigen Vermessungsingenieure nach den gleichen Gesichtspunkten gearbeitet haben wie 2000 Jahre früher ihre römischen Kollegen.

Wenn man das relativ kleine Raster städtischer Strassennetze mit Rücksicht auf die Topographie ausgerichtet hat, so gilt dies erst recht für die Grossraster der Centuriationen. Dies wird sogar von den römischen Feldmessern selbst bestätigt. Nach Frontinus (13) und Hyginus Gromaticus (14) soll eine der Hauptvermessungslinien des zu limitierenden Geländes durch dessen grösste Ausdehnung gelegt werden (“non nulli alid secuti, ut quidam agri magnitudinem, qui qua longior erat, fecerunt decumanum”). Je länger eine gerade Linie im Gelände gezogen werden kann, um so exakter fällt die Vermessung aus.

Wenn nicht das Gelände für die Ausrichtung den Ausschlag gab, so waren es in manchen Fällen der Flusslauf. Das römische Köln ist so angelegt, dass seine Nord-Süd-Strassen parallel zum Rhein verlaufen. Im Falle Veronas dürfte die Überbrückung der Etsch für die Anlage des Strassennetzes entscheidend gewesen sein, und auch Parma liegt so am Fluss, dass dieser und die rechtwinklig zu ihm verlaufende und ihn überquerende Hauptstrasse die Stadt in vier Teile gliederte (15).


Ausrichtung nach der Centuriation und den Landstrassen

Ausser geographischen und topographischen Gegebenheiten sind es oft auch andere Elemente der Raumordnung gewesen, insbesondere Centuriationen, welche bei der Ausrichtung von römischen Stadtgrundrissen eine Rolle gespielt haben. So bezeichnet es Hyginus (16) als ideal, wenn der “decumanus maximus” und der “cardo maximus” einer Centuriation zugleich die Hauptvermessungslinien des Stadtgrundrisses bilden, so dass diese Linien sich im Mittelpunkt der Stadt kreuzen und zu den Toren der Stadt hinauslaufen. Hyginus selbst gesteht aber ein, dass dies nur in Ausnahmefällen zu erreichen sei und gibt als Beispiel für solche eine Ausnahme die Stadt Admedara in Nordafrika an.

Die Koordinierung von Centuriation und Stadtgrundriss beschränkt sich hauptsächlich auf eine gleiche Ausrichtung beider Elemente. Es war dazu nicht nötig, dass der “decumanus maximus” der Flurteilung unbedingt durch die Stadt verlief; er konnte auch in Stadtnähe verlaufen (17), wie im Fall von Lucca (18). In Lucca verläuft die südliche Stadtmauer parallel zu einem “decumanus” und die in Nord-Süd-Richtung verlaufende Hauptstrasse der Stadt fällt genau mit einem “cardo” zusammen, der heute noch im Gelände durch den Lauf des Fosso Formicola markiert wird. Das römische Lucca lag jedoch nicht innerhalb der Centuriation, sondern zwischen dieser und dem Flüsschen Serchio.

Gut sichtbar ist die Verbindung von Stadtgrundriss und Centuriation in Imola (Forum Corneli) an der Via Aemilia, etwa 35 km südöstlich von Bologna. Nordöstlich der Via Aemilia erstreckt sich die Centuriation in die Ebene hinein, südwestlich von ihr liegt die Stadt; beide sind wie die Via Emilia ausgerichtet und selbst die heutige Eisenbahnlinie verläuft auf einem alten “decumanus”.

Die Forderung Hygins einem Stadtgrundriss die gleiche Ausrichtung zu geben wie der Centuriation, hat nichts mit Ästhetik zu tun, sondern entspringt einer praktischen Überlegung. Flurgrenzen und -marken im Gelände können sich mit der Zeit verlieren oder willkürlich verändert werden, sie lassen sich aber leicht rekonstruieren sofern es einige unveränderliche Vermessungsfixpunkte gibt. Gute und beständige Fixpunkte sind zum Beispiel Ecken von Stadtmauern und Gebäuden. In Ländern, die kein genaues und versiegeltes Vermessungssystem besitzen, werden solche Elemente auch heute noch von den Geometern als Fixpunkte herangezogen. Befand sich, wie Hyginus es empfiehlt, der Mittelpunkt des Vermessungssystems in der Stadt und war dort fest markiert, und hatten überdies die Stadtstrassen die gleiche Ausrichtung wie die “limites” der Centuriation, so konnte man jederzeit im Bedarfsfall das gesamte System unschwer rekonstruieren. Die Forderung nach Koordinierung von Stadt- und Centuriationsraster ist also keine theoretische Spitzfindigkeit, sondern eine praktische Vorkehrung.

Ob und wieweit Landstrassenverlauf, Centuriation und Stadtgrundriss miteinander verbunden werden konnten, das bestimmte in letzter Instanz die Topographie des Landes. Deshalb finden wir in Italien Gesamtsysteme von Stadt, Landstrasse und Centuriation vor allem in der weiten Po-Ebene. Dort bildet die parallel zu den vorapenninischen Hügeln verlaufende Via Aemilia zwischen Caesena und Placentia das Rückgrat der Städte und Centuriationen. Wie Perlen auf einer Schnur sind auf ihr die Städte Forlì, Faenza, Imola, Bologna, Modena, Reggio Emilia, Parma, Fidenza und Piacenza aufgereiht. Die Centuriationen erstrecken sich von der Strasse gegen das offene Land, mehr oder weniger streng auf diese Achse bezogen. Die grossen geradlinigen “viae publicae” bilden oft das gemeinsame Rückgrat von Stadtgrundriss und Centuriation (19).

Das ist jedoch nicht die Regel. Manche grosse römische Überlandstrassen sind erst viel später als die Städte gebaut worden, die an ihnen liegen, und ihr Verlauf musste an den der Stadtstrassen angepasst werden. In Bologna verläuft die Via Aemilia mit zwei deutlichen Knicken, vielleicht weil man die Hauptstrassen der Stadt, die schon vom etruskischen Felsina her vorgegeben waren, beibehalten wollte als die römische Strasse gebaut wurde. In Mutina (Modena) und Parma passt sich das städtische Strassennetz der Ausrichtung der Überlandstrasse an (20). Die Via Emilia folgt der natürlichen Ausrichtung der Höhenzüge des Apennin und seiner Ausläufer und ihren geradlinigen Verlauf verdankt sie dem ebenen Gelände durch das sie führt.

Ein Beispiel für die Anpassung des Landstrassenverlaufs an ein Stadtstrassennetz nennt Hyginus Gromaticus (21) den Fall der Stadt Anxur (Terracina). Diese römische Kolonie wurde 329 v. Chr. gegründet, also 17 Jahre vor dem Bau der Via Appia, war also zum Zeitpunkt des Strassenbaus  schon vorhanden und vielleicht auch centuriert. Durch die Richtungsänderung der Strasse erreichte man, dass die Via Appia auf dem “decumanus maximus” durch die Stadt geführt werden konnte (“decimanus maximus per viam Appiam observatur”). Eine ähnliche Anpassung wurde auch in Capua vorgenommen. Auch dort verläuft die Via Appia die Stadt mit zwei deutlichen Knicken (22).

Wenn Planung und Bau von Städten und Landstrassen auch meist nicht gleichzeitig erfolgte und deshalb später Anpassungen notwendig waren, so war es jedoch häufig möglich Stadtplan und Centuriation aufeinander abzustimmen, denn die Koloniegründungen verlangten eine vorgängigen Landaufteilung, um den anzusiedelnden Kolonen das erfoderliche Ackerland zuteilen zu können. Bei dieser Landaufteilung wurde wohl in der Regel auch der Standort der städtischen Siedlung festgelegt, damit diese eine günstige Lage zu den Feldern bekam.

Der Einfluss älterer Siedlungsstrukturen

In machen Fällen folgt die Ausrichtung römischer Stadtstrassennetze früheren Bebauungen, zum Beispiel in diejenigen Fällen, in denen zerstörte Städte und Stadtteile wieder aufgebaut werden mussten.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Stadt Karthago, die etwa 15 km nördlich der heutigen Stadt Tunis liegt. Karthago war eine Gründung phönizischer Kaufleute aus Tyrus und entwickelte sich in der Folge zum Zentrum des punischen Handelsimperiums. Damit wurde es zum grössten Konkurrenten Roms im Mittelmeerraum. Nach der Vernichtung der punischen Vormachtstellung im 2. Punischen Krieg (218 bis 201 v. Chr.) war es Roms Absicht, Karthago völlig niederzuhalten. Die Zerstörung der Stadt erfolgte jedoch erst im Jahr 146 v. Chr. durch P. Cornelius Scipio Aemilianus, doch schon 24 Jahre später, im Jahre 122 v. Chr. brachte Gaius Gracchus im Senat den Antrag ein, auf dem Territorium Karthagos eine römische Kolonie anzulegen. Trotz des Widerstandes im Senat kam es zur Koloniegründung, doch schon ein Jahr später musste die Kolonie aus staatsrechtlichen Gründen – Kolonien konnten nicht auf Provinzialboden gegründet werden –wieder aufgehoben werden (23). Trotzdem gelang es C. Gracchus auf karthagischem Boden 6000 römische Bürger anzusiedeln, wenn auch ohne Koloniestatus, wozu das ganze Territorium vermessen und aufgeteilt wurde (24). Zur richtigen, dauerhaften Koloniegründung auf karthagischem Boden kam es aber erst im Jahre 45 v. Chr. unter Caesar, der dort Soldaten ansiedelte (25) und auch die Stadt Karthago wieder aufbauen liess. Weitere 3000 Bürger wurden im Jahre 29 v. Chr. durch Augustus angesiedelt (26). Der Wiederaufbau Karthagos in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhundert v. Chr. war eigentlich ein Neuaufbau, denn die Stadt war weitgehend zerstört. Die neueren Ausgrabungen im Stadtgebiet von Karthago haben gezeigt, dass der Stadtplan der römischen Stadt sich auf dem der vorhergehenden punischen Stadt entwickelte, die einen orthogonalen “hippodamischen” Grundriss hatte, also in längliche schmale “insulae” geteilt war (27). Das Grundraster dieser Stadtanlage und seine Ausrichtung parallel zur Küstenlinie wurde von den Römern beim Wiederaufbau beibehalten, weil sich dadurch ein Teil der alten Strassen und Abwasserkanäle weiterbenutzen liess und die neuen Gebäude unter Benutzung der vorhandenen Fundamente errichtet werden konnten. Insbesondere liessen sich auf diese Weise die Zisternenanlagen erhalten, die jedes karthagische Haus besass, und die nun schon ziemlich tief unter dem Erdgeschossniveau lagen.

Schlussfolgerungen
Damit wird deutlich, dass sich die Ausrichtung vieler raumordnender Elemente, vornehmlich die der Strassen, sich den örtlichen topographischen Verhältnissen anpasst, die somit zum ausschlaggebenden Faktor wird. Wenn wir entdecken, dass bei römischen Städten oft Strassen, Flurteilung und Stadtgrundriss ineinandergreifende Teile eines einzigen Systems sind, so ist das kein blosser Formalismus, sondern häufig reine Zweckmässigkeit.

Anmerkungen

(1)   Pigorini, in: Bull. Pal. It. XXVI (1900)
(2)   Saeflund: Le Terramare, in: Acta Instituti Romani Regni Sueciae, VII (1939)
(3)   Thulin: Die etruskische Disziplin I-III, Göteborgs Högskolas Årsskrift (1905, 1906, 1909)
(4)   Lehmann-Hartleben: “Städtebau” in: RE Bd, IIIA, col. 2049
(5)   Fabricius: “Limitation”, in: RE XIII, col. 686
(6)   Front. 27, 13; 31, 1. Hyg. Grom. 166, 10
(7)   Front. 31, 4.; Hyg. Grom. 170,3; 182,8; 183,13
(8)   Laur-Belart, R.: Führer durch Augusta Raurica, a.a.O., S.10; vgl. Stohler, H.: Rekonstruktion des Vermessungssystems der Römerkolonie Augusta Raurica, in: Schweizerische Zeitschrift für Vermessung, Kulturtechnik und Photogrammetrie, Nr. 12 (1957)
(9)   Vitruv, de arch. I, VI
(10)Vitruv, de arch. I, VI, 1
Vitruv, de arch. I, VI, 6-7
(11)Vinaccia, G.: Il problema dell’orientamento nell’urbanistica dell’antica Roma. Quaderni dell’Istituto di Studi Romani, Roma 1939
(12)Vitruv, de arch., VI, 4, 1-2
(13)Front. 29, 2
(14)Hyg. Grom. 170, 10
(15)Philipp, in: RE XVIII, S. 1545
(16)Hyg. Grom. 180ff.
(17)Hyg. Grom. 178,12; 179,8)
(18)Somella, P. & C.F. Giuliani: La pianta di Lucca Romana, Roma 1974, Tafel I
(19)Lehmann-Hartleben:  “Städtebau” in: RE Bd, IIIA, S. 2050
(20)Fraccaro, P.: Opuscula III, S. 51ff., 63ff., 151ff.; vgl. Radke, in: RE Suppl. Bd. XIII, S. 1423

(21)Hyg. Grom. 179,11 ff.


1 commento:

  1. Alle römischen Städte oder Kastellen wurden nach Sonnenaufgängen an den jeweiligen Feiertagen der Götter ausgerichtet.

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