Die Anfänge des römischen Städtebaus
Wie bei den Griechen, entwickelte sich auch bei den Römern der orthogonale
Städtebau in enger Verbindung mit einer Kolonisationstätigkeit, nur hatten die
beiden Völker sehr verschiedene Motive für diese Tätigkeit. Für Rom handelte es
sich nicht um die Erhaltung eines Gleichgewichts zwischen Einwohnerzahl und
Landesressourcen, sondern vielmehr um die Aufrichtung einer Hegemonie über
immer neue Völker und Landstriche. Die italischen Völker hatten den Brauch, ein
Drittel des Landes der im Krieg überwundenen Gegner einzuziehen und dort einen
Teil ihrer eigenen Bürger anzusiedeln, die eine Kontrolle über das neu
erworbene Land ausüben mussten. Die ersten Kolonien Roms waren demzufolge
militärische Vorposten, Verwaltungs- und Kontrollzentren, die politisch von der
Mutterstadt abhingen. Die zu ihnen gehörenden Ländereien dienten in erster
Linie dazu, die neuen Gemeinwesen wirtschaftlich unabhängig zu machen.
Schon vor den Römern haben andere italische Völker Kolonien gegründet,
darunter die die Latiner. Selbst Rom, bevor es zur Gründung eigener Kolonien
überging, beteiligte sich an der Kolonisationstätigkeit des Latinerbundes, dem
es angehörte. Die Koloniegründung ist bei den Latinern und Römern ein
staatsrechtlicher Akt, bei dem eine neue Gemeinde entsteht, die ein besonderes
Statut und ein besonderes Rechtverhältnis zu ihrem Gründer hat. So fehlt den
von den Römern gegründeten Gemeinwesen, wie auch den mit Rom verbündeten
Städten, die aussenpolitische Autonomie. Ein Bündnisvertrag mit Rom schliesst
Bündnisse mit Dritten aus. Die römische Kolonisationstätigkeit beginnt im 4.
Jahrhundert v.Chr.und unterscheidet sich von derjenigen anderer italischer
Völker durch ihre Systematik und ihren Umfang. Deshalb konnte später Seneca (19)
sagen. “Dort, wo der Römer gesiegt hat, siedelt er” (ubicumque vicit Romanus,
habitat).
Über den Grund der Expansionspolitik der Römer ist viel
diskutiert worden. Man hat angenommen, dass es der Schock war, den sie im Jahre
387 v.Chr. erlitten hatten, als ihre Stadt von den Galliern eingenommen und
gebrandschatzt worden war. Um solche Katastrophen ein für alle mal unmöglich zu
machen, sei es das Ziel Roms gewesen, seine Grenzen immer weiter auszudehnen.
Sollte diese Annahme zutreffen, dann hätten wir in der römischen
Expansionspolitik ein klassisches Beispiel von “offensiver Verteidigung” vor
uns.
In Bezug auf diese römischen Urbanisierungstätigkeit
haben einige Autoren, von einem “Prinzip der Umsiedlung in die Ebene ” (20)
gesprochen. Solche Äusserungen lassen an eine revolutionäre Änderung der
bisherigen römischen Stadtpolitik denken, aber so ist es nicht. Eher lässt sich
annehmen, dass Rom zu jener Zeit überhaupt kein genaues Urbanisierungskonzept
besass, und nur den immer neuen Anforderungen nach Sicherheit des eigenen
Staates nachkam. In der Anfangsphase hat es dazu die eroberten und zerstörten
Städte wieder aufgebaut und sie zu Verbündeten gemacht und ihnen damit
Verteidigungsaufgaben übertragen. Erst als das Staatsgebiet so gross geworden
war, das man seine Grenzen nur in mehreren Tagesmärschen erreichen konnte,
begann man neue Städte im Vorfeld anzulegen, um dort Bürger anzusiedeln, die
Verteidungsaufgaben übernehmen konnten. Diese Städte entstanden zusammen mit
neuen Strassen, die hauptsächlich zur raschen Truppenverlegung dienen, weil die
relativ kleine Bürgermiliz nur dann erfolgreich operieren konnte, wenn sie
rasch und flexibel war und schnell dort eingreifen konnte, wo es brannte.
Die Koloniestädte waren zwar in der Lage in Friedenszeiten das Land zu
kontrollieren, aber sie waren keine Garnisonen, und im Kriegsfalle musste die
Bürgermiliz eingreifen um sie zu verteidigen, und dies war nur dann möglich,
wenn diese sehr rasch an die Krisenorte verlegt werden konnte. Auf jeden Fall
war dieses kombinierte Strassen- und Städtebaukonzept kein friedliches
Umsiedeln in die Ebene, sondern eine militärpolitische Notwendigkeit.
Koloniengründung
in republikanischer Zeit
Roms erste territorialen Zugewinne fallen ins 5.
Jahrhundert v.Chr. Die ersten, welche von der römischen Expansionspolitik betroffen
wurden, waren die kleinen Orte in unmittelbarer Nähe der Stadt Rom (21). Sie
wurden zerstört, ihr Land eingezogen und dem Ager Romanus einverleibt. Ihre
Einwohner zwang man, in der Stadt Rom Wohnsitz zu nehmen (22). Roms Ziel war zu
jener Zeit die Vergrösserung der Stadbevölkerung und nicht die Gründung von
Kolonien. Aus diesem Grund werden diese Orte auch nicht wieder aufgebaut, und
es werden auch keine Kolonien gegründet, denn das hinzugewonnene Land liess
sich noch sehr leicht von der Stadt aus kontrollieren.
Die Koloniegründungen Roms setzen erst in dem Moment ein, in dem die
hinzugewonnen Gebiete soweit von der Stadt entfernt sind, dass sie von ihr aus
nicht mehr kontrolliert werden können. Es handelt sich aber noch nicht um neue
Städte. Rom beschränkt sich darauf, die unterworfenen Orte zu besetzen, sie
wieder instandzustellen und sie als neue politische Gemeinwesen lateinischen
Rechts neu zu gründen (23). Die neuen Gemeinden sind “civitates sine
suffragio”, d.h. sie haben kein Recht an den politischen Entscheidungen Roms
teilzunehmen. Zu diesen Orten gehoren Sutrium
und Nepet in Südetrurien (383 v.Chr., heute Sutri und Nepi), Setia (382 v. Chr.,
heute Sezze) im Volkskerland oberhalb des pontinischen Agers, Norba (24) und Suessa (380 v.Chr.).
In welchem Ausmass schon Elemente orthogonaler Stadtplanung beim
Wiederaufbau der zerstörten Städte und bei der Gründung dieser latinischen
Kolonien zur Anwendung kamen, wissen wir nicht. Sicher ist, dass Norba (25) einen orthogonalen Grundriss bekam,
der noch heute auf den Luftaufnahmen des Istituto Geografico Militare gut
sichtbar ist. Dieser orthogonale Plan geht aber nicht auf die Zeit der
Koloniegründung zurück, sondern ist jünger und gehört vielleicht zum Wiederaufbau
der Stadt nach einer neuerlichen Zerstörung, die entweder bei den Einfällen der
Privernaten im Jahr 342 v.Chr. erfolgte oder im Privernatenkrieg als Monte
Lepini eingenommen wurde (26). Seit 2011 werden die antiken Strassenzüge von Norba grossflächig freigelegt.
Bis in die Mitte des 4. Jahrhunderts v.Chr. hat Rom sein Territorium
erweitert ohne neue Städte zu gründen. Erst nach der Erlangung der
militärischen Bezwingung der verbündeten Latiner im Jahr 338 v.Chr., hatte Rom
genügend Macht um eigene Kolonie- und Stadtgründungen zu verwirklichen, wobei
Kolonien sowohl latinischen als auch römischen Rechts entstehen. Die Bürger der
römischen Kolonien haben das Recht an den politischen Entscheidungen Roms
teilzunehmen, sofern sie sich in Rom aufhalten, während die latinischen
Kolonien nur als mit Rom verbündet gelten und kein Stimmrecht in Rom haben.
Es entstehen nun in rascher Reihenfolge die Kolonien Antium (337 v.Chr.), Terracina
(329 v.Chr.), das Anxur der Volsker und, an der Tibermündung, Ostia (um 325 v.Chr.).
Zweifellos bringt es Vorteile für Rom auch weiterhin Kolonien lateinischen
Rechts zu gründen. Diesen Status haben Cales (334 v.Chr.) in Kampanien und Fregellae
im Volskerland. Zu etwa der gleichen Zeit erhalten einige Koloniestädte orthogonale
Grundrisse, darunter Norba und Ostia.
Ostia (27) an der Tibermündung hat sehr bescheidene
Ausmasse (125,79 x 193, 90 m) und entspricht eher einer militärischen Anlage.
Deshalb wird es oft als “castrum” bezeichnet. Dieses Castrum von Ostia hat die
Aufgabe, die Schiffahrt zwischen der Tibermündung und Rom zu sichern und die
Salinen zu schützen, in es in dieser Gegend gab. Diese Salinen waren für Rom
von ausserordentlich grosser wirtschaftlicher Bedeutung: Salz war ein wichtiger
Ausfuhrartikel, der über die Via Salaria bis in die Gegend von Reate (heute
Rieti) exportiert wurde. Der orthogonale Plan von Ostia ist zwar nicht der
erste Roms, aber entspricht in seiner Reinheit am meisten der städtebaulichen
Grundidee, wohl weil sich diese in der Ebene leichter verwirklichen liess, als
zum Beispiel im hügligen Norba.
Terracina (329 v.Chr.) war eigentlich keine neue
Siedlung, sondern entstand aus dem volskischen Ort Anxur. Der orthogonale
Grundriss der Stadt spiegelt sich noch im heutigen Strassennetz wider (28). Die
Hauptstrasse der Stadt wurde von der Via Appia gebildet. Eine andere Strasse
verlief dazu rechtwinklig vom Capitol nach Westen, zwischen der Porta Nova und
dem Forum (29).
Gegen Ende des 4. Jahrhunderts beginnt der römische
Strassenbau. Eine der ersten Städte, die im Zuge des Strassenbaus enstehen, war
Interamna Lirenas (30) (312 v.Chr.) an der Via Latina, etwa
fünf römische Meilen von Casinum entfernt, und deshalb auch oft als Sucasina
bezeichnet. Die Stadt hatte die Funktion eines Vorpostens gegen die Volsker (31).
Ihre Tallage machte sie nicht sehr gut verteidigbar, aber sie war eine gute
Strassensperre gegen Kampanien.
Nach dem zweiten Samniterkrieg (325-304 v.Chr.) wurde im Jahr 303 v.u.Z. in Alba Fucens eine Kolonie latinischen Rechts eingerichtet (32). Die Stadt ist von besonderem Interesse, nicht nur, weil sie auf einem Hügel liegt, sondern auch deshalb, weil sie eine vorrömische Siedlung war. Sie liegt an der Via Valeria auf einer schmalen Streifen des Aequerlandes, am nordwestlichen Ende des Fuciner Sees und war ursprünglich ein Vorposten der Aequer gegen die Marser. Bei der Koloniegründung erhielt die auf einem felsigen und zerklüfteten Gelände liegende Stadt, innerhalb einer unregelmässig verlaufenden, dem Gelände angepassten Stadtmauer, einen orthogonalen Stadtplan. Alba Fucens ist in der Mitte des 20. Jahrhunderts von belgischen Archäologen ausgegraben und erforscht worden.
Anmerkungen
(19)
Seneca: Dial. XII 7, 7
(20)
Kirsten, in Acta Congressus Madvigiana Hafniae 1954, vol. 4, Copenhagen (1958),
S. 127
(21) Es handelt sich um Corioli, Tellenae, Collatia, Medullia, Corniculum,
Ficulae und Crustumerium.
(22) Kirsten:
op. cit., S. 53
(23) Kornemann,
E.: in: RE IIIA, col. 2042
(24) Norba
erhält später, nach einer zweiten Zerstörung, einen orthogonalen Stadtplan, der
auf den Kuftaufnahmen des Istituto Geografico Militare gut sichtbar ist. Siehe
auch: Savignoni, L., R. Mengarelli, in: Not. Scavi 1901, S. 514; 1903, p. 229;
1904, p. 403. Atti Congr. Int. Scienze Storiche V, Rom (1904), p. 255: Blake: Ancient Roman
Construction, p. 96. Castagnoli. F.: Orthogonal Town Planning, op. cit. S. 96
(25) Savignoni,
L. & R. Mencarelli, in: Not. Scavi (1901), S. 514; (1903), S. 229; (1904),
S. 403; siehe auch: Atti Cong. Int. Scineze Storiche 5, Roma (1904), S. 403;
Blake: Ancient Roman Construction, op. cit., S. 96
(26) Lugli,
G.: Le fortificazioni delle antiche città italiche, in: Rend. Lincei 8, 2 (1947),
S. 227
(27) Calza:
Scavi di Ostia I, Roma (1953), S. 75; sowie: Becatti, op. cit., S. 93
(28) Castagnoli, F.: Orthogonal Town Planning, op. cit., S. 103
(29) Lugli: Anxur-Terracina, Forma Italiae,
Rom (1926)
(30) Cagiano De Avezedo, M.: Interamna Lirenas.
Municipi e colonie II, 2, Rom (1947)
(31) Philipp, in: RE IX, col. 1601
(32) EAA “Alba Fucens”
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